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Kinder des Holocaust

Kinder des Holocaust

Titel: Kinder des Holocaust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip K. Dick
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abstreifen, alles tun, was sie wollte, weil sie glaubte – so wie wir alle –, niemand von uns würde überleben.
    Bonny hat auch damals aus dem Ganzen das Beste herausgeholt, erkannte er, so wie immer. Sie versteht es, in jeder Beziehung aus ihrem Leben das Beste zu machen. Ich wollte, ich wäre auch so ... Er empfand Neid, als er sie hinaus und zu ihrem Kind gehen sah. Eine schöne, gepflegte Frau, heute genauso attraktiv wie vor zehn Jahren – das Unheil, die unpersönlichen Wandlungen, die die Menschen und ihr Leben heimgesucht hatten, waren allem Anschein nach an ihr spurlos vorübergegangen.
    Ein Grashüpfer, der tagaus, tagein vor sich hinzirpte, das war Bonny. In der finsteren Zeit des Krieges mit seinen Verheerungen, seiner unendlichen Erzeugung neuer Arten von Leben, zirpte Bonny unverdrossen weiter, geigte sich ihr Liedchen der Lebensfreude, Begeisterungsfähigkeit und Sorglosigkeit; sie ließ sich nicht davon überzeugen – nicht einmal von der Realität –, daß es an der Zeit sei, vernünftig zu werden. Das waren die wirklich glücklichen Menschen: Leute wie Bonny, die stärker waren als die Kräfte der Veränderung und des Niedergangs. Das ist es, dachte Stockstill, dem sie sich entzogen hat – den Kräften des Verfalls, der eingesetzt hat. Uns ist das Dach auf den Kopf gefallen, aber Bonny nicht.
    Er entsann sich an einen Cartoon in der Zeitschrift Punch ...
    »Doktor«, wandte sich Bonny an ihn und unterbrach seine Gedanken, »haben Sie schon den neuen Lehrer kennengelernt. Hal Barnes?«
    »Nein, noch nicht«, antwortete er. »Ich habe ihn nur mal von weitem gesehen.«
    »Er wird Ihnen sicher sympathisch sein. Er würde gerne Cello spielen, aber natürlich hat er keins.« Sie lachte belustigt auf, in ihren Augen leuchtete pures Vergnügen. »Ist das nicht bemitleidenswert?«
    »Doch, sehr«, stimmte er ihr zu.
    »Ist es nicht bei uns allen so?« meinte sie. »Unsere Cellos sind dahin. Und was ist uns geblieben? Sagen Sie's mir.«
    »O Gott«, sagte Stockstill, »ich weiß es nicht. Ich habe nicht die entfernteste Ahnung.«
    Bonny lachte. »Ach«, sagte sie, »Sie sind so ernst.«
    »Das sagt sie zu mir auch immer«, sagte George Keller mit mattem Lächeln. »Meine Frau betrachtet die Menschheit als eine Gattung von Mistkäfern, die sich fortwährend im Dreck abplagt. Sich selbst nimmt sie natürlich davon aus.«
    »Damit hat sie auch recht«, sagte Stockstill. »Ich hoffe, Sie wird diese Einstellung nie ändern.«
    George schaute ihn mißmutig an, dann zuckte er mit den Schultern. Kann sein, daß sie sich ändert, dachte Stockstill, falls ihr das mit ihrer Tochter klar wird. Das könnte dazu führen. So etwas wäre dazu erforderlich, ein völlig ungeahnter, unvorhersehbarer, wirklich schwerer Schock. Ihre Daseinsfreude, ihre Lebenskraft, alles würde sich ins Gegenteil verkehren. Es könnte sogar sein, daß sie sich das Leben nimmt.
    »Sie müssen mich dem neuen Lehrer demnächst einmal vorstellen«, sagte er zu den beiden Kellers. »Einen ehemaligen Cellospieler möchte ich gerne kennenlernen. Vielleicht können wir für ihn aus einem Waschzuber und Packdraht ein Instrument basteln. Spielen könnte er es mit ...«
    »Mit Haaren vom Pferdeschweif«, sagte Bonny in ihrer praktischen Art. »Den Bogen können wir ohne weiteres herstellen, das wird nicht schwer sein. Was wir brauchen, ist ein großer Klangkörper, damit sich die tiefen Töne hervorbringen lassen. Ob sich wohl irgendwo eine alte Truhe aus Zedernholz auftreiben läßt? Damit wär's möglich. Auf jeden Fall muß es Holz sein.«
    »Ein halbiertes Faß käme in Frage«, sagte George.
    Sie lachten gemeinsam über diesen Einfall; Edie Keller, die gerade dazukam, lachte auch, obwohl ihr entgangen war, was ihr Vater – oder der Mann ihrer Mutter, wie Stockstill annahm – gesagt hatte. »Vielleicht finden wir so was am Strand«, sagte George. »Mir ist aufgefallen, daß sehr viel an hölzernen Trümmern angespült wird, besonders wenn Sturm war. Das Zeug muß bestimmt von alten Wracks chinesischer Schiffe stammen, die vor Jahren untergegangen sind.«
    Die Kellers verabschiedeten sich und verließen Dr. Stockstills Praxis in bester Laune; er schaute ihnen nach, wie sie sich auf den Heimweg machten, das kleine Mädchen in der Mitte. Das sind mir drei, dachte er. Oder vielmehr vier, wenn man die unsichtbare, aber nichtsdestotrotz vorhandene Person im Leib des Mädchens mitzählte.
    Er schloß die Tür, tief in Gedanken versunken.
    Es könnte

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