Kinder des Judas
hinaus in den kalten Wind, der durch Leipzig fegt und das neue Jahr mit sich bringt.
Es grollt und rumpelt, über der Stadt braut sich eines derseltenen Wintergewitter zusammen. Die Böen drücken den Mantel an mich, und ich spüre die Kladde mit meinen Aufzeichnungen, die ich in der Innentasche trage. Die Geschichte von Scylla wäre mir nach Frankreich und in die Fluten des Atlantiks gefolgt.
Nachdenklich gehe ich die Straße entlang, nehme das Buch hervor und streiche über den Einband. Im Grunde ist es fertig, ich habe mir alles von der Seele geschrieben.
Ich blättere durch lose und feste Seiten. Dann reiße ich sie mit einem raschen Griff heraus und halte das Papierbündel in der Hand.
»Abgeschlossen«, sage ich leise und werfe die Seiten hoch in die Luft.
Es kostet mich keine Mühe, dem Wind zu gebieten. Er erfasst die Notizen, weht sie umher und trägt sie mit sich fort bis hoch in die schwarzen Wolken; gelegentlich lässt er einzelne Blätter fallen, doch sie werden im Schneematsch landen und unlesbar werden. Die Tinte wird verlaufen, die Geschichte verschwimmen und sich auflösen. Wie Scylla.
Es blitzt über dem Gebäude des Senders MDR, gleich danach donnert es. Welch ein Wetter an Silvester: Ein Feuerwerk der Elemente!
Erleichtert werfe ich den nutzlos gewordenen Einband in die nächste Mülltonne. Meine Begegnung mit Marek hat mir gezeigt, dass es sinnvoll ist, auf die Fertigkeiten eines Vampirs zurückzugreifen. Das Verleugnen hat mir nicht gutgetan, und ich werde mich von nun an öfter meiner wahren Natur besinnen und des Nachts mit dem Wind um die Welt ziehen – nur um am Morgen wieder bei Elena und Emma zu sein.
Wenn ich richtig überlege, ist auch Theresia Sarkowitz’ Zeit abgelaufen. Ich werde ihr einen friedlichen Tod gewähren.
Es wird anscheinend ein weiteres Mal Zeit für neue Papiere und einen neuen Namen. Oder besser einen alten.
Jitka ist schön.
Jitka von Schwarzhagen?
Mir kommt ein Mann entgegen. Es ist Frick, der Ex von Emma, und sein selbstgefälliger Blick gefällt mir gar nicht. Womöglich hat er einen weiteren Coup in Sachen Sorgerecht vorbereitet und möchte ihn tatsächlich noch in diesen Stunden umsetzen.
Wir sind etwa zwanzig Meter voneinander entfernt, noch hat er mich nicht erkannt. Ansonsten ist die Straße – abgesehen von wenigen geparkten Autos – leer.
Ich wache über meine Familie, so habe ich es immer gehalten. 2008 soll gut für sie beginnen, und die nachfolgenden Jahre sollen noch besser werden.
Dafür werde ich sorgen.
Meine rechte Hand wandert an den Dolchgriff, der andere Arm hebt sich schon, um den Rand der Wollmütze nach unten zu ziehen – da stocke ich. Wollte ich mich nicht mehr auf meine Stärken besinnen?
Ich benötige kein Messer.
Mein linker Arm reckt sich gegen die Wolken.
In mir pulsiert die Energie des Himmels, und der schwarze Brodem über mir unterwirft sich meinem Willen. Ich lächele. Die nächsten beiden Blitze sollen ein ganz besonderes Ziel haben und zweimal an der gleichen Stelle einschlagen.
Zur Sicherheit.
Nachwort des Autors
E in Buch über Vampire, und das ganz ohne Dracula, wie ich es versprochen hatte. Vlad Tepes mag vieles gewesen sein, aber eines mit Sicherheit nicht: ein Vampir.
Auch um mit dem Bild des Vampirs, wie es sich seit Dracula eingeprägt hat, aufzuräumen, habe ich
Kinder des Judas
geschrieben.
Wie bei den Werwölfen in
Ritus
und
Sanctum
griff ich auch für dieses Werk auf reale Ereignisse aus den Jahren 1731 und 1732 zurück und gab ihnen einen neuartigen Hintergrund.
Wer selbst ein wenig recherchiert, wird viele historische Persönlichkeiten entdecken, angefangen von Obrist D’Adorno bis zu Contagionsmedicus Glaser. Die Akten der Geschehnisse von Medvegia lagern noch heute im Wiener Hofarchiv – denn diese Untersuchungskommissionen gab es tatsächlich.
Ob Vampire existierten?
Sicher ist: Auf dem Balkan und in Osteuropa kursieren für die gleiche Gestalt unzählige Begriffe: Vampir, Vapir, Vepir, Vupir; außerdem Lampir, Upir, Upyr, Upior, Upierzyc und Wapierz; des Weiteren Vieszcy, Murony oder Priccolitsch, nicht zu vergessen Wukodalak, Vurkulaka, Tenac oder Tenjac und viele mehr. Die Arten und Namen von Vampiren sind so vielfältig wie ihr Verhalten. Zumindest, wenn man nach der Volkskunde geht.
Für manchen wird dieses Buch eine Flut an Informationen bereitgehalten haben – in Wahrheit gibt es nur einen winzigenEinblick in all das, was den Blutsaugern nachgesagt wird oder wie man sich
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