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Kinder des Judas

Titel: Kinder des Judas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz , Markus Heitz
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danebenliege. Nur ein einziges Mal. Leider war es uns nicht vergönnt, diesen kleinen Triumph über den Tod einmal zu erleben.
    »Sie sollen sich beeilen. Es wird nicht mehr lange dauern«, füge ich hinzu und schaue zu dem Monitor, auf dem Theas Herzschläge von der Elektronik als hüpfende Punkte mit nachglühenden Linien angezeigt werden.
    Plötzlich schlägt sie die dunkelbraunen Augen auf. »Ich habe Durst«, sagt sie heiser und klammert sich an meine Hand. »Mir ist so heiß, Sia.«
    »Warte, ich gebe dir etwas.« Mit der Rechten schenke ich ihr von dem roten Traubensaft-Wasser-Mix ein, den sie so sehr liebt, während sie vergeblich versucht, sich aufzusetzen, und mit einem Mal kraftloser als jemals zuvor wirkt. Die Augen liegen tief in den Höhlen, sie hat Ringe darunter wie eine Fünfzigjährige. Behutsam flöße ich ihr einige Schlucke ein, dann hustet sie, und ich setze das Glas ab. »Ist es besser?«
    »Ja«, antwortet sie schwach und tastet nach Paddy, den ich ihr sofort in den Arm drücke. »Danke, Sia.«
    Sia ist nicht mein richtiger Name, sondern die Abkürzung für Theresia. Theresia Sarkowitz, Sitzwache, siebenunddreißig Jahre, so steht es zumindest in den Personalunterlagen des Krankenhauses. Und trotzdem würde mich kein noch so kritischer Beobachter älter als Ende zwanzig, maximal Anfang dreißig schätzen. Ich habe mich gut gehalten und bin sehr stolz auf meinen Körper, der schon viel ausgehalten hat. Prellungen, Schnittwunden von Messern und Glassplittern und vieles mehr hat meine Haut kennengelernt, ohne sich daran mit einer hässlichen Narbe zu erinnern.
    »Möchtest du nicht lieber wieder schlafen?«, frage ich Thea und lege eine Hand auf ihre Stirn. Eiskalt und feucht.
    Sie schüttelt den Kopf, doch ihre Bewegungen sind kraftlos. »Nein. Dann kommen wieder die Träume. Und die Monster.« Thea drückt den Bären an sich, den Beschützer und Gefährten, so gut es geht. »Ich mag sie nicht. Kann Scylla kommen und sie verjagen, Sia?«
    Scylla, das Mädchen aus meinen Geschichten. »Du musst dich nicht aufregen, Kleines«, spreche ich bedächtig. »Ich schicke dir Scylla, und sie verjagt die Monster, ich verspreche es dir. Aber jetzt …«
    Die Töne des Herzmonitors beschleunigen sich. Rasch schalte ich das Instrument auf stumm und verfolge die tanzenden Linien aus den Augenwinkeln. Das kleine Herz rast!
    Plötzlich zuckt Thea zusammen. »Sia!« Ihr Gesicht verkrampft sich vor Schmerz und Anstrengung, nur ihre Augen bleiben groß und weit. Mir kommt es vor, als versuche sie, die Schmerzen und die Krankheit aus sich herauszupressen, sich zu reinigen. Ihr Atem beschleunigt sich.
    »Ich lasse dich nicht allein, Thea«, verspreche ich ihr. »Paddy und ich passen auf, dass dir nichts geschieht.«
    Da geht auch schon die Tür zum Zimmer auf, Professor Angerer und ein Notfallteam stürmen herein und schauen auf die Monitore der Geräte. Er gibt rasche Anweisungen, was die Ärzte und Pfleger tun sollen, Spritzen werden aufgezogen und in den Infusionsschlauch gejagt. Ich rücke etwas nach oben, um ihnen nicht im Weg zu sein, lasse aber die kleine Hand nicht los. Meine Augen ruhen auf Thea, alles andere interessiert mich nicht mehr. Der Tod ist bereits in sie gekrochen und sucht nach ihrer Seele, um sie mit sich zu nehmen.
    Die kurzen, knappen Anweisungen des Oberarztes höre ich kaum.
    Thea dreht den Kopf noch einmal zu mir, der Schleier überden Pupillen erinnert mich an beschlagene Scheiben. Sie drückt meine Finger fest, so fest, wie es auch die Erwachsenen taten, die ich beim Sterben begleitet habe. Wie kräftig Kinder sein können.
    Ich lächele sie an und streichele ihr Gesicht. »Keine Angst, Thea. Keine Angst.« Auch wenn es mir unglaublich schwerfällt, summe ich ihr eines von meinen vielen Liedern vor, die vertrauten Töne werden sie beruhigen.
    Theas Blick bricht.
    Der Tod ist aus ihr gefahren und hat ihre Seele fortgetragen.
    Dass sie an einem besseren Ort landen wird als ich, bezweifele ich nicht.
    Ich schließe ihr die Augen. Neben mir steht Angerer und hält einen ehrgeizigen Assistenzarzt, der den Defibrillator einsatzbereit gemacht hat, mit einer knappen Geste zurück. Das ist ein Grund, warum ich vor diesem Oberarzt niemals den Respekt verloren habe. Bei allem Elan, den er bei einer Therapie an den Tag legt, weiß er, wann er den Kampf verloren hat und seine Patienten nicht weiter peinigen muss.
    »Das verstehe ich nicht«, meint einer aus dem Pulk betroffen. »Es sah doch gut aus.

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