Kinder des Judas
Janja gedankenverloren. Sie beobachtete, was sich unweit von ihnen abspielte, und das merkwürdige Unbehagen breitete sich weiter in ihr aus. Dabei sollte es dafür keinen Grund geben. Unter der Herrschaft der Türken gab es kaum Einschränkungen, und solange jeder seine Abgaben und Steuern bezahlte, ließen die Phanarioten– die griechischstämmigen Verwalter – sowie die Richter, Kadis genannt, die Dörfer in Frieden. Janja hatte ihre Abgaben bezahlt, gerade gestern erst.
Die überwiegende Mehrheit der Bewohner des Landstrichs waren Christen geblieben, die Besatzer verzichteten auf eine gewaltsame Bekehrung – wenn auch die Glocken in den Türmen nicht mehr zum Gottesdienst rufen durften. Der Klang, so lautete die Begründung, beleidige die Ohren der Muslime. Manche Kirchtürme hatten um einiges verkleinert werden müssen, damit sie nicht höher als die Minarette waren.
In ihrer kleinen Stadt gab es kein Minarett, daher erhob sich der Turm unbeeindruckt. Es gab durchaus Dörfer, die komplett zum Islam übergetreten waren, was ihnen Vorteile brachte. Sicherlich stammten diese Soldaten aus einem von ihnen.
Was natürlich immer für Unruhe sorgte, war die Devshirme, die Knabenlese, bei der die christlichen Familien ihre ältesten Söhne dem Sultan überlassen mussten, der aus ihnen Janitscharen machen ließ. War das der Grund für das Auftauchen der Soldaten?
»Aber du sagst immer, ich sei etwas Besonderes, Mutter«, widersprach Jitka leise und klatschte einmal in die Hände, als sie sah, dass der Janitschar durch die vom Wind umhergetriebenen Regenschleier auf ihr Zuhause zukam. »Vielleicht machen sie bei mir eine Ausnahme?«
»Du bist vor allem besonders neugierig. Das können sie schon gar nicht leiden. Du hast doch gesehen, wie sie die Menschen wieder in ihre Häuser gejagt haben.« Janja beugte sich zu ihrer Tochter hinunter. »Die Türken sind nicht unsere Freunde, vergiss das niemals.«
Schwere Stiefelschritte näherten sich dem Eingang, gleich danach hämmerte ein harter Gegenstand gegen die Tür. Janja warf sich ihren dunkelbraunen Umhang über, zog die weißeHaube fester über die brünetten Haare und eilte zur Tür. »Du wirst schweigen, Jitka«, befahl sie leise, doch sehr eindringlich, bevor sie öffnete.
Das Licht der Kerzen fiel auf den Mann und beleuchtete ihn golden. Jitka strahlte bei dem Anblick. Auf der Schwelle stand ein Janitschar, wie er in Geschichten beschrieben wurde und wie ihn sich das Mädchen immer erträumt hatte. Unter dem Überwurf aus gutem, schwerem Stoff glänzte ein Panzerhemd aus vernieteten Eisenringen; es war mit Broschen und Symbolen geschmückt. Als Kopfschutz diente eine schwere Sturmhaube, an der ein Ringgeflecht den Nacken-, Stirn- und Wangenschutz bildete. Auf der Sturmhaube saß wiederum eine hohe Haube aus weißem Filz, in der eine vergoldete Federhülse über der Stirn steckte. Hände und Unterarme waren von langen Panzerhandschuhen bedeckt. Das Mädchen bestaunte das Dekor, das von einem begnadeten Goldschmied angefertigt worden sein musste. Die Blumenmuster, die gravierten geometrischen Ornamente, vergoldeten Schließen und Beschlagteile glänzten im Schein der zuckenden Flämmchen.
An der Seite des Janitscharen hing der Krummsäbel, im Gürtel steckten zwei atemberaubend schön gearbeitete Pistolen. Die Griffe seiner Waffen waren mit aufwendigen Intarsien geschmückt, wie es sich üblicherweise nur Fürsten leisteten. In der Rechten hielt er einen mit Seide und Silberdraht geschmückten Rundschild. Die Beine steckten in Hosen aus blauem Stoff, die Füße in hohen Stiefeln.
Jitka traute sich kaum zu atmen, als könne sie so verhindern, dass dieses fast märchenhafte Geschöpf so schnell verschwand, wie es gekommen war. Nur das Wasser, das von der Haube rann, schien wirklich zu sein; Tropfen perlten über das Gesicht, in dem ein prächtiger brauner Schnurrbart prangte.
»Wir suchen nach einem Jungen«, sagte der Janitschar ohne einen Gruß zu Janja. Seine hellen Augen spähten in den kargeingerichteten Raum. »Wenn er hier vor uns verborgen wurde, sag es lieber gleich.« Er beugte sich vor und trat ein, die Filzhaube streifte den Türrahmen. »Falls ich ihn finden sollte, wird es dir schlecht ergehen.« Er sprach nicht nur ohne Akzent, sondern auch ohne jegliches Gefühl in der Stimme. »Er hat von den Abgaben des Dorfes gestohlen.«
»Ich habe niemanden versteckt. Ich lebe mit meiner Tochter allein«, gab Janja zurück und neigte den Kopf vor dem
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