Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kinder des Monsuns

Kinder des Monsuns

Titel: Kinder des Monsuns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Jimenez
Vom Netzwerk:
der kleinen Gassen die Familie Yang mit ihren Nachbarn in winzigen Häusern in Erwartung des Räumungsbefehls vor der unvermeidlichen Planierung, um Platz für neue Appartements und Einkaufszentren zu schaffen – und sagen Sie mir jetzt bloß nicht, dass Sie hier nicht wegziehen wollen.
    Seit wann ist Protest in einer Diktatur erlaubt?
    Das Alte wird von der aufstrebenden chinesischen Mittelklasse mit Armut gleichgesetzt, und das Land hat beschlossen, seine alte und arme Vergangenheit auszuradieren und zu überbauen. Da ist kein Platz für Sentimentalität. China löst viel Bewunderung bei denjenigen aus, die nur auf seine wirtschaftliche Entwicklung schauen, nicht auf die Schäden, die seine plötzliche, von der Notwendigkeit einer schnellen Aufholjagd angetriebene Wiedergeburt verursacht. So entstehen gigantische Städte, ebenso seelenlos wie der Beton, aus dem sie errichtet wurden, deren Einwohner nie die Sonne sehen, weil sie hinter Abgaswolken verborgen bleibt. Hier entsteht eine Gesellschaft, die der neuen Religion des Geldes huldigt, wo nichts anderes mehr zählt und statt konfuzianischen Respekts eine gnadenlose Hackordnung herrscht.
    Es wird der Tag kommen, wo sich die Chinesen fragen werden, ob es nicht andere Weg gab, die Vergangenheit zu überwinden, vor der sie mit solcher Hast fliehen, um sich ungeduldig einer zweifellos verdienten besseren Zukunft in die Arme zu werfen. Solange dieser Tag noch auf sich warten lässt, werden die umzugsunwilligen Bewohner jener Viertel, die bei den Immobilienhaien so heiß begehrt sind, weiterhin von korrupten Funktionären unter einem Vorwand in das örtliche Parteibüro bestellt werden, nur um bei ihrer Rückkehr festzustellen, dass ihre Häuser und ihr Leben in Trümmern liegen.
    |268| Die neue Wohnung der Yangs hat kaum 40 Quadratmeter, doch sie haben für das alte Klavier Chaojuns einen Platz gefunden. Hätten sie es draußen gelassen, hätten sie damit auch ihre Träume begraben. Ein wohlhabender Unternehmer, der das Mädchen sponsert, hilft ihnen, die Miete aufzubringen. Er steuert jeden Monat außerdem etwas Geld bei, damit Chaojun weiterhin Unterricht nehmen kann. Das Wunderkind hat sein zwölftes Lebensjahr vollendet. Es hat weiter Klavier gespielt, Konzerte in chinesischen Städten gegeben und einige Auslandsreisen unternommen. Stolz zeigt der Vater des Mädchens das Plakat, das ihre Teilnahme am Musikfestival 2007 in Sanya auf der Insel Hainan ankündigt. Chaojun ist darauf mit anderen jungen chinesischen Musikern zu sehen, die als »Musikstars« betitelt werden.
    Erst nach einer Weile kommen die Yangs auf ihre Schwierigkeiten und Geldnöte zu sprechen. Die Kleine bekommt kaum Gage für ihre Auftritte. Ihr Weg zum Erfolg ist für die Familie zu einer immer erdrückenderen finanziellen Belastung geworden. Ständig müssen Reisen zu Wettbewerben und Unterrichtsstunden bezahlt werden. Die Familie lebt von Yang Weiqis Pension, umgerechnet 80 Euro. Seine Frau Zhu Li erzählt, dass die drei Jahre seit meinem letzten Besuch bei ihnen ein steiniger Weg waren und sie mittlerweile um die Zukunft Chaojuns bangen. »Wir haben nicht genug Geld mit der Rente, und ich bin arbeitslos. Wir brauchen Geld, wenn wir wollen, dass Chaojun in ihrer Karriere vorankommt. Wer weiß, was sonst aus ihr wird?«
    Zweifel nagen nun an den Yangs. Chaojun bleibt eine außergewöhnliche Pianistin, aber ist sie gut genug, um die Opfer ihrer Eltern aufzuwiegen? Noch würden sie diese Frage bejahen, doch ihre Erwartungen sind mit der Zeit gestiegen, und nun reicht es nicht mehr, dass sie »besser ist als ein Mann«. Sie hoffen, dass aus ihr ein Star wird, und die Möglichkeit, dass sich dieser Traum nicht verwirklichen könnte, bedrückt sie. Die soziale Anerkennung, das Auto, das Haus und der Sprung in die Mittelklasse werden dann auf der Strecke bleiben. Als ich sie frage, was in den letzten Jahren |269| ihr größter Erfolg war, erinnert mich Chaojun an das Konzert in Paris 2003, den Applaus der Menschen und die Anwesenheit der Politiker. »An diesem Tag wusste ich, dass ich Pianistin werden will«, sagt sie. Die Yangs sind überzeugt, dass sie dazu ihre Ausbildung im Ausland vervollkommnen muss, wie es andere chinesische Erfolgsmusiker vorgemacht haben. Sie fragen mich, ob ich nicht ein Stipendium wüsste, vielleicht an einem europäischen Konservatorium.
    »Wenn wir nur Geld hätten…«, seufzt Zhu Li. »Wir wollten Chaojuns Erfolg nie, um selbst daran zu verdienen, sondern damit sie ein

Weitere Kostenlose Bücher