Kinder des Monsuns
Weihnachtsmann. Chuan dagegen hofft, dass der nächste Kampf auf sich warten lässt, dass er niemals kommt, dass das Los auf einen anderen fallen möge.
Thitiphong ist mit der Kampfliste des nächsten Abends gekommen und alle umringen ihn, um ihren Namen auf der Liste zu sehen. Der Boss hat mit dem Promoter eines Boxstalls in Ratchaburi, der Hauptstadt der gleichnamigen Provinz, einen Kampfabend an einem Austragungsort namens Sing Yu arrangiert. Er zählt eine Paarung nach der anderen auf und verkündet ganz zuletzt: »30-Kilo-Klasse: Der Unbesiegbare von Sangmorakot gegen den Tiger von Supanburi. Die Kämpfe finden in acht Tagen statt, und jetzt alle ran ans Training.«
Ratchaburi liegt anderthalb Stunden von Bangkok in Richtung Hua Hin, der Sommerresidenz der thailändischen Königsfamilie. Chuan und die anderen sind schon am Vortag angereist, um am Abend ausgeruht in den Kampf zu gehen. Er ist frühmorgens aufgestanden und vor dem Frühstück zum Stadion gegangen, um sich zusammen mit seinem Kontrahenten wiegen zu lassen. Der alten Waage im Lager ist nicht zu trauen, daher ist dies ein entscheidender Moment. Wenn der Unbesiegbare von Sangmorakot ein Kilo mehr wiegt als die vorgeschriebenen 30, bleiben ihm nur ein paar Stunden, um es loszuwerden, oder er wird disqualifiziert. Das letzte Mal, als dies passierte, ließ der Boss ihn den ganzen Tag trainieren, |57| verbot ihm, zu essen und packte ihn mitten in der erdrückenden Tropenhitze in warme Sachen, damit er Tropfen um Tropfen jedes überschüssige Gramm ausschwitzte. Er stieg so müde und hungrig in den Ring, dass er sich kaum auf den Beinen halten konnte, und wurde so schlimm vermöbelt wie kaum je zuvor in seinem Leben.
Die Jungs ziehen sich aus und treten einen Schritt vor, um sich zu wiegen.
»Unbesiegbarer von Sangmorakot: 30 Kilogramm.«
»Tiger von Supanburi: 30 Kilogramm.«
Chuan glaubt zu wissen, was für das Normgewicht gesorgt hat: Reis, Fleisch und Hühnersuppe, der Festschmaus der Kampftage. Die Kampfbörse wurde auf etwa fünf Euro für jeden Jungen festegelegt, ein paar mehr für den Sieger. Ein Sieg, der den Wettern einen hübschen Batzen einbringt, ist eine Garantie für ein gutes Trinkgeld, doch niemand möchte sein Geld für jemanden riskieren, der alle seine bisherigen Kämpfe verloren hat. Die Wetten stehen zehn zu eins gegen den Unbesiegbaren. Wenn er abermals verliert, schickt man ihn vielleicht zurück nach Hause.
Der Austragungsort Sing Yu ist ein diskret in einer kleinen Nebenstraße in den Außenbezirken von Ratchaburi gelegener halbüberdachter Pavillon. Neben dem Eingang sind Stände mit Erfrischungen und thailändischem Essen aufgebaut, und der ganze Ort riecht nach Curry, Kokosmilch, Galgant und Ingwer. Ein Mann ohne Beine bittet am Eingang um Almosen. Das Foto von König Bhumibol thront über der Kampfstätte. Der Monarch hat über zwanzig verschiedene Regierungen geherrscht, 18 versuchte Staatsstreiche miterlebt und sich sechs Jahrzehnte auf dem Thron gehalten, wodurch er zum Gottähnlichsten geworden ist, was sich in Thailand finden lässt. Der Verkehr in Bangkok kommt noch immer zum Erliegen, wenn der »Herr des Lebens« (
Chao Chiwit
) seinen Palast verlässt. Die Polizei riegelt dann den Zugang zu den Brücken ab, um zu verhindern, dass sich jemand an einem höheren Ort befindet als er, wenn sein Konvoi unter ihnen hindurchfährt. Sein Bild hängt in öffentlichen Gebäuden, in Dörfern, Wohnhäusern |58| und Straßen, an den Kettchen der Mädchen, die halbnackt an den Stangen der Bars des Vergnügungsviertels Nana tanzen, und neben den Postern von Rockstars in den Zimmern Jugendlicher. Wenn man in Bangkok ins Kino geht, muss man sich zu Ehren des Königs vor dem Film zu den Klängen der Königshymne erheben. Wenn der Regen ausbleibt oder Überschwemmungen drohen, fragt die Regierung den König, was zu tun ist. Im September 2006 landete ich in Bangkok am selben Tag, als die Armee gegen Premierminister Thaksin Shinawatra putschte, der es gewagt hatte, mit seiner Anhäufung von Macht und Geld Bhumibol und die traditionelle thailändische Elite in den Schatten zu stellen. Ich nahm ein Taxi und fuhr mit der
Time-
Korrespondentin Hannah Beech zum Regierungspalast. Die Panzer umringten das Gebäude mit lächelnden Soldaten, die sich bei den Touristen für die »Unannehmlichkeiten« höflich entschuldigten. Unmöglich, nicht die Schleifen zu beachten, die um die Kanonenrohre der Panzer gebunden waren: gelb wie die Sonne, die
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