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Kinder des Monsuns

Kinder des Monsuns

Titel: Kinder des Monsuns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Jimenez
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hat acht Kämpfe ausgefochten. Er hat sie allesamt gewonnen.
    |63| Die Trainer beginnen, ihre Schützlinge auf den Kampf vorzubereiten. Die Knöchel werden umwickelt, die Körper eingeölt, die Gesichter mit Vaseline eingeschmiert und die Muskeln massiert, um sie aufzuwärmen.
    »Was machst du während des Kampfes?«, fragt Paisan einmal mehr.
    »Ich werde meinen Kopf gebrauchen«, antwortet Chuan mit fast unhörbarer, von Nervosität erstickter Stimme.
    Es ist Brauch, dass die Boxer das oberste Seil übersteigen müssen, wenn sie in den Ring gehen, womit symbolisch zum Ausdruck kommen soll, dass Gott über allem steht, doch weder Chuan noch sein Kontrahent sind dafür groß genug, und so schlüpfen sie wie zwei Eichhörnen darunter her. Die beiden Jungen tanzen vor dem Kampf den traditionellen
Wai Kru
zu Ehren ihrer Meister und knien in jeder der vier Ecken nieder, um zu Buddha zu beten. Der Ring ist nun für die bösen Geister verschlossen. Der Ringrichter geht zu den beiden Kämpfern, greift ihnen in die Weichteile, um sich zu vergewissern, dass der Hodenschutz am Platz ist, und gibt den Ring frei. Die Glocke läutet, und die erste von fünf Runden beginnt.
    Die beiden Boxer umkreisen und studieren einander. Der Tiger beschließt, als Erster anzugreifen, geht auf den Unbesiegbaren los und versetzt ihm einen Fußtritt ins Gesicht. Chuan taumelt und geht beinahe zu Boden. Danach setzt es einen Faustschlag, wieder ein Fußtritt, ein Kniestoß in den Bauch…
    »Beweg dich, Chuan! Warum bewegst du dich nicht?«, schreit Paisan aus der Ecke.
    Der Unbesiegbare macht ein paar Schritte zurück, der Tiger verfolgt ihn, bis er ihn an den Seilen in die Enge getrieben hat. Er schlingt seine Arme um den Hals des Gegners und rammt ihm das Knie in den Magen. Das Publikum feuert jeden Stoß an. Man hört Gelächter, Pfiffe und Zwischenrufe:
    »Geh nach Hause!«
    »Was zum Teufel hast du in einem Ring verloren?!«
    |64| »Ein Mädchen kämpft besser du!«
    Chuan schmerzt jeder Schlag, jede Sekunde, die er im Ring steht, jede Anfeuerung des Publikums für seinen Gegner, ihn noch härter ranzunehmen. Es schmerzt ihn schlicht, hier zu sein. Er sucht Hilfe in der Ecke, doch die Blicke der Seinen sagen ihm: Du bist allein, niemand kann dir jetzt helfen. Sie sagen: Die Chance ist alles, pack sie beim Schopf oder räum das Feld für einen anderen. Sie sagen: Willst du vielleicht nach Khorat zurück, um den Boden zu beackern, den der Monsun verraten hat?
    »Hat denn niemand mal nachgeschaut, wie der Bursche in seinen früheren Kämpfen abgeschnitten hat?«, fragt Paisan und blickt auf den Gegner, der gerade seinen Schützling verprügelt. »Acht Kämpfe, acht Siege. Der wird uns den Jungen noch umbringen.«
    Es bleiben nur noch einige Sekunden bis zum Ende der ersten Runde. Die Schläge fliegen ohne Unterlass. Der Unbesiegbare geht auf die Knie und hebt eine Hand, um aufzugeben. Der Ringrichter fängt an, ihn auszuzählen.
    »Eins, zwei… Kannst du weitermachen?«
    (Schweigen.)
    »Drei, vier… Kannst du weitermachen?«
    (Schweigen.)
    Ist es die Angst, zu verlieren, die ihn lähmt? Die Angst zu siegen vielleicht? Wäre es nicht besser, zu verlieren? Die Chance sausen zu lassen, die er nie wollte, die einzige, und nach Hause zurückzukehren? Dass wieder alles wird wie früher? Zurückzukehren und auf den Regen zu warten, Sohn des Monsuns?
    »Sechs, sieben, acht… Aus.«
    Chuan steht auf den Beinen mitten im Ring und blickt sich verängstigt um. Acht Kämpfe, acht Niederlagen. Alles ist vorbei, er kann gehen, doch er bleibt da, unbeweglich, ohne zu wissen, was er tun soll. Er möchte nichts wie raus aus dem Ring, aber er weiß nicht wie, bleibt stehen wie gelähmt. Seine rechte Augenbraue ist geschwollen, seine linke Wange blau angelaufen. Paisan tritt in den |65| Ring und hebt ihn unter den Armen hoch. Es scheint, als würde er ihm etwas sagen wollen, ein aufmunterndes Wort vielleicht, aber er schweigt.
    In dieser Nacht fährt die Mannschaft von Sangmorakot mit einem Sieg und zwei Niederlagen schweigend im Wagen zurück nach Bangkok. Es ist früher Morgen, als der Unbesiegbare im Lager ankommt. Er sucht sich ein Loch und sinkt mit den anderen, manche unter dem Ring, andere auf ihm liegend, in den Schlaf. Vorher fragt ihn ein anderer Junge, der noch wach ist, nach dem Kampf.
    »Unbesiegbarer, wie war der Kampf?«
    »Ich hab verloren.«
    *
    Masa konnte mich zum Kampf des Unbesiegbaren am Abend in Ratchaburi nicht begleiten. Es läuft nicht

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