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Kinder des Monsuns

Kinder des Monsuns

Titel: Kinder des Monsuns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Jimenez
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trainieren. Wenn er am Kampftag noch nicht |52| wieder voll auf dem Damm ist, hat er nicht die geringste Chance, zu siegen. Das Fieber schwächt ihn, bereitet ihm Muskelschmerzen, sein Puls ist beschleunigt, er hat vor dem Kampf Durst, sein Körper folgt ihm nicht. Während des Kampfes sieht er statt eines Rivalen zwei – und verliert.
    Die bescheidene Trainingsstätte von Sangmorakot vervollständigen eine alte, rostige Waage zum Wiegen der Boxer, das Porträt des Abtes des Sitaram-Tempels, ein paar rissige Sandsäcke und ein Ventilator gegen die Hitze der Nacht. Eine Ermahnung über dem Spiegel, wo die Boxer ihre Schläge üben, erinnert an die drei beherrschenden Grundregeln dieses Ortes: »Trainiere hart. Wenn du erschöpft bist, trainiere weiter. Wenn du glaubst, dass du es nicht mehr schaffst, mach weiter.« An einer Säule hängen die Fotos der Boxstallmitglieder, die im Lumpini-Stadion in Bangkok gekämpft haben, der höchste Lohn für alle, die diese einzige Chance beim Schopf gepackt haben. Die Bilder sind gut sichtbar aufgehängt, um die Jungs daran zu erinnern, dass es auch für sie möglich ist, die Brücke zu überqueren und die andere Seite zu erreichen, dass auch sie es schaffen können.
    Chuan Thummabat – zwölf Jahre, 30 Kilo und nichts zu verlieren – ist der letzte Neuzugang des Camps. Er hat spitze Ohren und einen ängstlichen, immer wachsamen Blick, als ob er jeden Augenblick befürchtet, dass ihm etwas Schlimmes passiert. Er ist aus Khorat gekommen, der ärmsten und rückständigsten Region Thailands, ein Ort, wo der Zauber der Jahreszeiten nie glücken wollte und sich der Himmelsgott, wenn es ihn gibt, nur selten an sein Volk erinnert. Khorat ist der hässliche Hinterhof eines Landes, dessen übrige Regionen fruchtbar und reich sind. Thailand erhält das Wasser, mit dem die Felder des Nordwestens bewässert werden, aus den Bergen an der Grenze zu Birma. Der Fluss Chao Phraya überschwemmt die Reisfelder im Herzen des Landes und bildet die Lebensader seiner alten und neuen Hauptstadt, Ayutthaya und Bangkok. Das Andamanmeer und der Golf von Thailand mit seinen weißen Stränden und seinem smaragdgrünen Wasser |53| ziehen Tausende von Touristen an und verschaffen den Küstenbewohnern Arbeit. Aber Khorat? Die Khorat-Hochebene im Nordosten ist durch das Phetchabun-Gebirge vom Rest des Landes getrennt. Seine Savannen taugen nicht zur intensiven Landwirtschaft. Der Monsun kommt spät oder früh, mit wenig oder zu viel Wasser, in einem Jahr bringt er Trockenheit, im nächsten Überschwemmungen, manchmal beides in ein und derselben Saison. Die Landbevölkerung sieht ihre Chance von jeher in der Abwanderung. Die Jungen wollen nicht wie die Alten abhängig von den Jahreszeiten sein, und so machen sie sich in die Hauptstadt auf, in der Hoffnung, niemals zurückzukehren. Für Erfolg und Versagen gibt es eine klare Messlatte: Kehrst du zurück, bist du gescheitert. Doch um Meister im Thaiboxen zu werden, muss man früh fortgehen, noch als Knabe, und zum Mann werden, bevor man wirklich einer ist. Das ist die Arbeit des Bosses.
    Chuan unternahm die Reise quer durchs Land in die Stadt mit dem Bus, in seiner Tasche Unterwäsche zum Wechseln, etwas zu essen und ein bisschen Geld. In Bangkok angekommen, brachte ihn ein Tuk-Tuk vor die Tore des Sitaram-Tempels. Die neuerliche Trockenheit im Vorjahr hatte seine Eltern zu der Überzeugung gebracht, dass es für den Kleinen in Khorat keine Zukunft gab. Sein größerer Bruder, Rangson, hatte einige Jahre zuvor denselben Weg in die Hauptstadt genommen, und Thitiphong, der Boss, hatte ihn im Lager aufgenommen. Die Jahre schweren Trainings hatten Früchte getragen, und Rangson hatte mittlerweile seinen ersten Kampf im Lumpini-Stadion bestritten: Live-Übertragung im Fernsehen, eine gute Börse und die Chance, zu einem der Großen zu werden. Rangson gehört noch nicht zu den Stars, aber durch seine Siege konnte er seinen Eltern etwas Geld schicken. Warum sollten sie nicht auch mit Chuan ihr Glück versuchen? Wenn Chuan sich zu einem Champion mausert, wird die Armut für immer zu einem Alptraum vergangener Tage. Die Familie wird nie mehr im Elend leben müssen, und niemand wird sich mehr darum scheren, ob sich der Monsun um einen Monat oder |54| ein Jahr verspätet. Soll er doch gleich ganz wegbleiben, wenn er will.
    »Tu das, was dir dein Bruder und dein Meister sagen, und du wirst ein Champion«, trug Chuans Vater ihm am Tag seiner Abreise auf.
    Chuan präsentierte

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