Kinder des Monsuns
sich dem Meister, bekam einen Kurzhaarschnitt, wurde seinen Kameraden vorgestellt und erhielt eine Hose und ein Paar durchlöcherte Boxhandschuhe. Man schärfte ihm ein: Trainiere hart und die wirst ein Champion. Man wies ihn zurecht: Jeder hat hier seine Aufgabe, der eine kocht, der andere sammelt nach dem Training die Handschuhe ein, und jemand muss die Klos sauber machen, vielleicht bist du dieser Jemand, weil du als Letzter gekommen bist. Und man ermahnte ihn: Sangmorakot ist eine Familie, die Triumphe eines einzelnen Kämpfers sind nicht wichtig, sondern das, was der Boxstall erreicht. Die Gruppe steht über dem Einzelnen. Halte dich an die Regeln, oder du gehst zurück aufs Land, wo du hergekommen bist, um den ausgedörrten Boden von Khorat zu beackern.
»Was ist dein Kampfname?«
»Ich hab keinen.«
»Gut, dann bist du … ›Der Unbesiegbare‹, ›Der Unbesiegbare von Sangmorakot‹.«
Das Leben hat sich für Chuan im Boxlager nicht allzu sehr verändert. Vorher stand er um fünf Uhr morgens auf, um mit seinem Vater zur Feldarbeit zu gehen, jetzt tut er es, um zu trainieren. Der Tag beginnt mit einem 8-Kilometer-Lauf um den Tempel. Danach macht er 200 Klappmesser zur Stärkung der Bauchmuskulatur, verschiedene Gewichthebeübungen, 20 Minuten Seilspringen und, zwischen einer Übung und der nächsten, Liegestützen, um die Armmuskeln zu stählen. »Eins, zwei, drei, vier … Dass du mir mit der Nase nicht den Boden berührst. Los: fünf, sechs, sieben …«, ruft der Boss zwischendurch, während er am Handy die nächsten Kämpfe der Jungs vereinbart. Das Morgentraining setzt sich mit Schlagübungen auf den Sandsack fort, der an einem Eisenträger |55| baumelt. Dann schnappt sich Chuan seinen Ranzen und geht für ein paar Stunden in die Tempelschule. Um 15 Uhr hat er eine kleine Ruhepause, von 17 Uhr bis zum Einbruch der Dämmerung muss er wieder trainieren. Jetzt stehen Nahkämpfe gegen andere Jungs auf dem Programm, manchmal gegen die Älteren. Chuan wälzt sich ein ums andere Mal auf dem Boden, rappelt sich auf und greift wieder an. Kniestoß, Fußtritt, Faustschlag. Abends die Hausaufgaben, Abendbrot und ab ins Bett.
Trainiere hart. Wenn du erschöpft bist, trainiere weiter. Wenn du glaubst, dass du es nicht mehr schaffst, mach weiter.
Sieben Tage in der Woche, 365 Tage im Jahr.
Seine ersten Kämpfe sind für Chuan nicht gut gelaufen. Sieben Kämpfe, sieben Niederlagen. Beim letzten hat er sich eine Platzwunde am Kopf zugezogen. Erst nach dem Kampf brachte man ihn ins Krankenhaus. Eine Lücke in seinem Haarschopf markiert die Stelle der Blutung. Der Ring färbte sich rot, der Ringrichter musste die beiden Kämpfer einige Minuten trennen. Jemand spülte den Boden mit einem Eimer Wasser ab, die Blutung wurde mit einem Pressverband gestillt, der Kampf ging weiter. In den drei verbleibenden Runden musste Chuan weitere Schläge einstecken.
Die Blessuren des Kampfes verschafften ihm drei Tage Trainingspause, bis die Schwellung abgeklungen war und er wieder aus seinen geschwollenen Augen gucken konnte. Alle seine Kämpfe gleichen sich: Der Unbesiegbare steigt in den Ring, hört den Gong und bleibt wie gelähmt stehen, sein Geist ist leer, vergessen sind die erlernten Schlagtechniken und der Hunger nach Triumphen, den man bei einem aus Khorat erwartet. Sobald er dort oben steht, scheint ihn die Angst zu packen, er hebt die Fäuste vors Gesicht, lässt sie zur Deckung des Unterleibes sinken, doch es will ihm nicht gelingen, sie vom Körper zu lösen und selbst zuzuschlagen. Von den an die 20 Jungen, die im Boxstall Sangmorakot trainieren, ist er der Einzige, der bislang noch keinen Sieg errungen hat. Er hat nicht die Wut der anderen in den Augen noch legt er ihre Entschlossenheit an den Tag, ihre Chance beim Schopf zu packen – die |56| einzige, die sie bekommen. Seine Augen sagen: Ich mag es nicht, dass sie mich Tag für Tag schlagen; sie sagen: Wie gerne würde ich wie die anderen Jungen sein, zur Schule gehen und bei meinen Eltern leben. Sie flehen: Wie kann ich ihnen verständlich machen, dass ich nicht weitermachen will? Sie werden mich für einen Feigling halten…
Die Champions im Muay Thai müssen sich in Quartierskämpfen abhärten, jeder Sieg erhöht die Gage. Wenn der Kämpfer nicht gewinnt, wird niemand auf ihn wetten wollen, er kommt nicht mehr auf die Kampfliste und wird nach Hause zurückgeschickt. Die Jungs vom Boxstall freuen sich auf den nächsten Kampf wie westliche Kinder auf den
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