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Kinder des Monsuns

Kinder des Monsuns

Titel: Kinder des Monsuns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Jimenez
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Farbe von König Bhumibol.
    An einer Seite des Rings befindet sich eine improvisierte Holztreppe, auf der anderen an die fünfzig Plastikstühle. In einer Ecke sitzt ein pensionierter Boxer mit einer Uhr und einer Glocke, der Beginn und Ende jeder Runde verkündet. Der Kampf ist illegal. Schon vor Jahren hat die Regierung aufgrund der Proteste von Kinderschutzorganisationen Wettkämpfe zwischen Minderjährigen unter 15 Jahren und in der Gewichtsklasse unter 45 Kilo verboten. Die Gehirne der Heranwachsenden sind noch nicht vollständig ausgebildet, die ständigen Schläge verlangsamen oder gefährden ihre geistige Entwicklung. In einem nahe gelegenen Krankenhaus beklagt sich einer der Ärzte angewidert, dass er an Kampftagen Überstunden machen muss: »Manchmal haben sie keine schweren Verletzungen, aber normalerweise müssen wir sie hier oder da mit ein paar Stichen zusammenflicken, und in ein paar Tagen stehen sie wieder im Ring.«
    Die Boxmafia interpretiert das Gesetz auf ihre Weise: Je geringer das Gewicht eines Jungen, desto höher die Wetten gegen ihn |59| und umso größer auch der Anteil des Promoters. Die Kämpfe werden heute außerhalb von Bangkok veranstaltet, an Orten wie Ratchaburi, um der Polizei aus dem Weg zu gehen. Boxställe verschiedener Provinzen haben an diesem Abend ihre besten Kämpfer mitgebracht, und Dutzende von Trainern massieren und ölen die kleinen Körper ihrer Schützlinge, bevor sie die Jungen in den Ring schicken.
    Thitiphong, der Boss, konnte nicht kommen und hat seinen Stellvertreter Paisan geschickt, doch er ruft an, um mit den drei Zöglingen, die er für den Abend ausgesucht hat, zu sprechen. »Hab keine Angst vor einer Niederlage«, beruhigt er Chuan, »um ein Champion zu werden, musst du oft verlieren. Das macht dich hart.«
    Ein weiteres Mal wiederholt der Boss seine alte Boxerweisheit: »Einen Kampf gewinnt man nicht mit den Füßen oder Fäusten, sondern mit dem Kopf. Man muss wissen, wann und wo man zuschlagen muss, man muss die Schwäche des Gegners suchen, und immer auf die Deckung achten, denn du kannst nicht gewinnen, wenn du so die Hucke vollkriegst, dass du hinterher noch bedepperter bist als vorher. Nicht alles ist rohe Gewalt. Ein Boxer muss seine Arbeit begreifen wie ein Chirurg. Wenn der Arzt nicht nachdenkt, verliert er seinen Patienten im Operationssaal. Wenn der Anwalt nicht nachdenkt, kommt sein Klient ins Gefängnis. Wenn der Boxer nicht nachdenkt, geht er windelweich zu Boden. Die drei Waffen des Muay Thai sind Körper, Geist und Herz. Wenn du eine davon zu Hause vergisst, verlierst du. Verstanden?«, fragt der Boss am anderen Ende der Leitung.
    »Ja, Boss, verstanden«, erwidert Chuan. »An den Ring denken. Körper, Geist, Herz.«
    Der Boss lässt nicht locker: »Also, was machst du während des Kampfes?«
    »Ich benutze meinen Kopf«, antwortet Chuan.
    »Gut. Das wollte ich hören.«
    Der erste Kampf des Abends in Ratchaburi findet in der Gewichtsklasse |60| von 24 Kilo statt: Sivagon gegen Denphimaai. Die beiden sind so winzig, dass sie in dem riesigen Ring wie kleine Spielfiguren aussehen, mit kleinen, wie aus Stein gemeißelten Muskeln. Keiner von beiden ist schon acht, und mit ihren Handschuhen und Shorts sehen sie aus, als hätten sie sich für ein Schulfest verkleidet. Die Glocke läutet, die unschuldigen Kinder geraten in Raserei, aber es wirkt nicht wie eine Schulhofrauferei, bei der man wahllos aufeinander eindrischt. Ihre Bewegungen sind koordiniert, ihre Tritte und Faustschläge treffsicher und rabiat. Nie beklagen sie sich, immer stehen sie wieder auf. Am Ende jeder Runde bleiben die beiden an der Stelle, wo sie die Glocke überrascht hat, heben die Arme und warten darauf, dass ihre Trainer sie unter den Armen packen und in ihre Ecken tragen. Ein bisschen Wasser, Eis auf die Beine, ein Klaps für den einen, ein Klaps für den anderen, und los geht’s von neuem.
    Am Ende des Kampfes reichen die Punktrichter dem Ringrichter die Zettel mit ihrer Punktzahl und erklären Sivagon zum Sieger. Seine Trainer holen ihn, umarmen ihn, setzen ihn abermals in seine Ecke, und jemand gibt ihm das Trinkgeld der Wetter. Weil er noch die Handschuhe anhat, kann er das Geld nicht mit der Hand annehmen und öffnet den Mund. Jemand schiebt ihm die Scheine zwischen die Zähne, und er beißt kräftig darauf. Sie gehören ihm, niemand kann sie ihm wegnehmen. Er hat sie sich verdient.
    *
    Thailand befindet sich auf halbem Weg von der Dritten in die Erste Welt. Wäre

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