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Kinder des Monsuns

Kinder des Monsuns

Titel: Kinder des Monsuns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Jimenez
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Abfallberge, die sich über einer Stadt auftürmen, die sie nie akzeptieren wollte?
    Einigen Bewohnern des Gelobten Landes bietet man Arbeit auf dem Bau in der Provinz an, doch die Leute haben Angst, fortzugehen und das einzig Sichere zu verlassen, das sie in ihrem Leben erreicht haben. Der Dollar, jener Dollar, den man verdienen muss, selbst wenn alles um einen herum zusammenstürzt, ist jetzt noch schwieriger zu ergattern. Die Genossenschaft der Müllsammler erhebt sich, die Anwohner halten endlose Versammlungen ab, die sich erst um Mitternacht auflösen. Sie diskutieren darüber, was zu tun ist, wie sie von jetzt an ihren Lebensunterhalt verdienen sollen, bis sie sich eines Tages, drei Monate nach Verhängung des Moratoriums, mehrheitlich für eine Rückkehr des Abfalls entscheiden. Die Bewohner des Gelobten Landes marschieren zum Rathaus mit Plakaten, auf denen steht: »Wir wollen den Abfall«; »Wer ernährt unsere Kinder«; »Rettet die armen Menschen.« Die Kommunalbeamten, niedergedrückt von der wachsenden Krise der Abfallbeseitigung in der Stadt, blicken sich verdutzt an und können ihr Glück kaum fassen. Diese Leute bitten uns tatsächlich darum, sie wieder unter Müll zu begraben? Aber liebend gerne: Wozu ist der Bürgermeister schließlich da, wenn nicht dazu, die Wünsche der Bürger zu erfüllen?
    Am Tag ihrer Rückkehr werden die Lastwagen mit Jubelrufen empfangen. Hunderte Anwohner erwarten sie mit Haken und Säcken, alle stürzen sie sich, wie von einem seltsamen, donquichotesken Wahnbild getäuscht, auf die erste Ladung Abfall, als wäre es ein Swimmingpool mit kristallklarem Wasser. Sie sehen Schätze, wo jeder andere nur Unrat erblicken würde, Nahrung, wo es nur Abfälle gibt, Überleben, wo nur Krankheit auf sie wartet. Und alles ist wieder wie früher. Präsident Estrada legt sich betrunken um vier Uhr morgens schlafen, und Reneboy verlässt seine Hütte zur selben Stunde, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen.
    |95| »Hast du den Sack vollgemacht, Reneboy?«
    Doch weder Reneboy noch der Präsident sind nach dem »Müllkrieg« von Manila noch dieselben. Der Junge glaubt schließlich nicht mehr an die Rückkehr der Müllwagen. Er hört auf, im Abfall des Müllmatterhorns zu wühlen, geht morgens in die Schule und so hungrig schlafen wie immer, aber auch so sauber wie nie. In seiner freien Zeit geht er mit der Clique nach Quezón-Stadt nicht weit vom Gelobten Land und kauft sich mit dem dort an den Ampeln erbettelten Geld etwas zu essen und ein Erfrischungsgetränk. Zum ersten Mal stellt er sich vor, wie das Leben weit weg von hier wäre.
    Der Präsident ahnt es noch nicht, doch auch er ist nicht mehr derselbe. Joseph Estrada hatte die Chance, unter Beweis zu stellen, dass er der Beschützer der Armen ist. Dass er es nicht zu Wege gebracht hat, das Leben jener zu verbessern, die ihm zur Präsidentschaft verholfen haben, und ihr Schicksal auch nur ein wenig zu korrigieren, macht ihn in den Augen der Elite noch verwundbarer. Und so braut sich, während die große Stadt wieder dazu übergeht, das, was sie nicht braucht, über den Menschen des Gelobten Landes auszukippen, in Manila eine Verschwörung zusammen, die darauf zielt, ihren Präsidenten zu entsorgen – auf dem Müllhaufen der Geschichte.
    Seit dem Sturz des Ehepaars Marcos sind fünf Jahre vergangen, und Kardinal Sin, der Mann, der am meisten tat, um die Diktatur zu beenden, hat die Geduld mit den kleinen Sünden des Schauspielers, der sich in die Politik eingemischt hat, verloren. Er ist dessen Liebesaffären und Ministerratssitzungen leid, bei denen Johnnie Walker, pur oder auf Eis, viele der Entscheidungen trifft. Die Korruptionsfälle, in die Estrada verstrickt ist, häufen sich, und die Institutionen scheitern daran, sie zu ahnden. Der Kirche gelingt es, die Mittelschicht von Manila mit der Unternehmerelite zu vereinen, die endlich den Augenblick gekommen sieht, dem Präsidenten den versprochenen Tritt zu verpassen, und die politische Opposition mit dem Militär zusammenzubringen.
    Angesichts der Tänze, der Musik und der Feste der Demonstranten |96| auf den Straßen von Manila ist offenkundig, dass niemand auf den Philippinen ein Handbuch über korrekte revolutionäre Barrikadenkämpfe gelesen hat. Es gibt keine Wut in den Gesichtern der Filipinos, vielleicht sind sie das Volk, das sich auf Erden am wenigsten selbst ernst nimmt. Die Demonstranten haben beschlossen, singend zum Präsidenten zu ziehen, sich zu verkleiden, auf den

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