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Kinder des Monsuns

Kinder des Monsuns

Titel: Kinder des Monsuns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Jimenez
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Bürgersteigen zu speisen und sich per SMS zur nächsten Demo zu verabreden. Sie machen daraus die erste politische Revolte, die per Handy organisiert wird.
    Kardinal Sin, die Vizepräsidentin und künftige Präsidentin Gloria Macapagal Arroyo und General Reyes reichen sich die Hand und feiern den Sturz des Präsidenten der Armen, gegen den sich, wie zuvor gegen das Ehepaar Marcos, eine Bürgerbewegung mobilisiert hat (bekannt unter dem Kürzel der zentralen Demonstrationsstraße EDSA, Epifanio de los Santos Avenue). Völlig verlassen weint der John Wayne von Manila in seinem Präsidentenbüro wie ein kleiner Junge und klammert sich an seine Whiskyflasche. Einer seiner Berater betritt den Raum und teilt ihm mit, dass die Stunde gekommen sei, den Palast zu verlassen. »Was habe ich nur dem Volk getan?«, lallt Estrada und lässt den Kopf auf den Schreibtisch sinken.
    Die Elite ist’s zufrieden, abermals hat sie eine der Ihren an die Macht gebracht: Arroyo, die Prinzessin der Elite von Makati. Die Generäle sind ebenso zufrieden, erneut haben sie demonstriert, dass noch immer sie das Sagen haben. Und auch der Kardinal frohlockt, wieder einmal hat die Kirche unter Beweis gestellt, dass sie auf den Philippinen jenseits von Gut und Böse steht. Die Filipinos werden weiterhin die Kinder zeugen, die Gott ihnen schenkt, und die Politiker haben, die der Kardinal für sie auswählt.
    Es gibt auch Unzufriedene. Die Armen fühlen sich verraten – jetzt stiehlt keiner der Ihren mehr – und machen sogar Drohgebärden, den Expräsidenten wieder auf seinen Platz zu hieven. Einige Einwohner des Gelobten Landes versammeln sich und schicken ein kleines Bataillon von Demonstranten los, um den Versuch |97| einer Gegenrevolte zu unterstützen. Ihre Liebe zu Estrada ist noch immer nicht ganz geschwunden, trotz der falschen Versprechungen, und als sie ihn besiegt sehen, ein Gefühl, das sie besser verstehen als alle anderen, verzeihen sie ihm, dass er ihnen nicht zu Hilfe gekommen ist, als sie ihn am meisten brauchten. Die Polizei liefert sie unter Knüppelschlägen wieder in ihren Hütten ab, ohne dass sie großen Widerstand leisten. Selbst der ungebildetste Bauer des elendsten aller Länder weiß, dass seine Zukunft schwerlich davon abhängen wird, ob der eine oder der andere Präsident an der Macht ist.
    Wieder einmal reise ich nach einer Revolte aus diesem ewig geschundenen Land ab. Im Flieger zurück nach Hongkong treffe ich meinen Freund Pekka Mykkanen, Korrespondent der finnischen Zeitung
Helsingin Sanomat
, mit dem ich Monate später auf der Suche nach einem Wodka durch die Straßen von Islamabad irren sollte. Pekka setzt sich zu mir, bittet die Flugbegleiterin um einen Drink und schiebt den Sitz nach hinten. »Unglaublich, was, dieser Beruf?! Wir waren gerade auf einer beschissenen Revolution.« Und nach einer Pause fügt er hinzu: »Alles hat sich geändert, damit alles so weitergeht wie bisher.«
    *
    Während das Auto in die Straße zum Gelobten Land einbiegt und der unverwechselbare Geruch des Elends durch das Wagenfenster dringt, ganz wie an dem Tag, als ich Reneboy kennen lernte, wird mir abermals die Unsinnigkeit einer Welt bewusst, die einen Ort wie diesen zulässt. Fünf Jahre sind seit meinem letzten Besuch vergangen. Das ist überall eine lange Zeit, im Gelobten Land ist es eine Ewigkeit. Ich habe das Gefühl, dieselbe Reise nur wenige Monate früher schon einmal unternommen zu haben, als ich im Russenhospital in der kambodschanischen Hauptstadt vergeblich nach Vothy suchte. Der Unterschied ist, dass ich mir damals mit aller Macht wünschte, das Mädchen mit dem rosafarbenen Kleid noch |98| anzutreffen, denn nur so konnte ich Gewissheit erlangen, dass sie den vielfachen Verrat überlebt hatte, der den Lauf ihres Lebens bestimmte. Jetzt wünsche ich mir das Gegenteil. Nur wenn ich Reneboy dort nicht mehr finde, wo ich ihn zurückgelassen habe, kann ich die Hoffnung hegen, dass sich sein Leben verändert hat, vielleicht, indem er diesen Ort weit hinter sich gelassen und den Lauf seines Lebens selbst gewendet hat.
    Auf dem Weg zur Müllhalde habe ich mir verschiedene Möglichkeiten ausgemalt und bin bei einer hängen geblieben: Ich komme zur Hütte der Familie Chale, frage nach Reneboy und erfahre, dass er vor langer Zeit mit der Familie aus dem Gelobten Land fortgezogen ist. Edelberto hatte eine Arbeit auf seiner Geburtsinsel Mindanao gefunden und, berauscht von der Erinnerung an den Geruch der Kokospalmen und der

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