Kinder des Monsuns
glauben sie, haben ein Anrecht darauf.
In diesem exklusiven Club legen sich die Damen in denselben Schönheitskliniken unters Messer, die Herren kaufen sich dieselben Luxusautos, die Kinder spielen in ein und derselben Basketballliga, wo sie nur auf Ihresgleichen treffen, und die jungen Leute heiraten ausschließlich die Mitglieder anderer Familien des Clubs. Tagalog, die offizielle Sprache, wird nicht benutzt, weil es die Sprache der »anderen« ist. Im Club spricht man nur Englisch und Spanisch, denn zur Reinhaltung der Geldrasse ist es erforderlich, sich |90| vollständig von den anderen zu unterscheiden. Der bevorzugte Zeitvertreib ist die Politik, und die Clubmitglieder kontrollieren den Senat und das Parlament, viele der Richter und das Präsidentenamt (bis auf einige wenige Ausnahmen, wo es sich irgendein Schauspieler unter den Nagel reißt).
Die Armen sind ebenfalls aus eigenem Recht arm, und es macht keinen Sinn, dass sie etwas verändern wollen, wo sie die Armut doch im Blut haben. Sie, deren Stand ebenfalls erblich ist, bilden einen anderen Club, nur einen weniger glücklichen. Die goldene Regel, die niemals missachtet werden darf und von Generation zu Generation weitergegeben werden muss, lautet: sich niemals schuldig fühlen. Ich erinnere mich, dass ich einmal eine Einladung des Clubs zu einem Diner erhielt, das die PR-Abteilung von Imelda Marcos im Hotel Shangri-La in Manila veranstaltete. Zugegen waren führende Vertreter des Klüngels, an meinem Tisch diamantenbeladene Damen und einige Unternehmer der Elite. Jemand fragte mich nach meiner Arbeit, und neben einigen anderen Geschichten erzählte ich ihnen daraufhin auch von Dalmazio Zeta, einem Mann, den ich in Tondo, einem der gewalttätigsten und ärmsten Viertel von Manila, kennen gelernt hatte.
Dalmazio bewahrte in einer leeren Keksdose eine Liste mit den Namen der Nachbarn im Viertel auf, die bereit waren, eine ihrer Nieren für etwas Geld zu verkaufen. Regelmäßig kamen die Organkäufer, wählten einen der Jüngsten aus der Liste aus, und man setzte eine Operation an. Der Empfänger, immer jemand aus einer reichen Familie Manilas, erhielt ein neues Leben von einer der elendsten Familien, zahlte dem Spender genug, um sich ein paar Lumpen zu kaufen, und jeder der beiden lebte an seinem Ort, in seinem Club weiter.
Es schien mir ein gutes Beispiel dafür, wie die Elite auf den Philippinen wortwörtlich von den Armen lebt. Einige meiner Tischgenossen erbleichten, eher wegen der Unschicklichkeit, eine solche Geschichte bei Tisch zu erzählen, als wegen des Organhandels selbst, und obwohl sich einige aufrichtig überrascht darüber |91| zeigten, dass so etwas nicht weit von dem Ort geschehen konnte, an dem wir uns an Langusten und Champagner gütlich taten, beendete eine Dame schließlich die Unterhaltung in perfektem Spanisch: »Ist die Großzügigkeit der Leute nicht unglaublich? Das beweist, dass die Philippinen kein nachtragendes Volk sind.«
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Man muss sich nicht sehr anstrengen, um im Gelobten Land mehr Würde zu entdecken als bei den Diners der Elite. Wenn die Mülllawine für die Menschen von Payatas so vernichtend war, so nicht nur wegen des Verlustes der Menschenleben und Hütten, nicht einmal, weil sie aufs Neue die Verlassenheit seiner Bewohner vor Augen führte, sondern weil sie sich zu einer Zeit ereignete, als die Anwohner schon glaubten, ihre Stadt des Unrats in einen Ort verwandelt zu haben, auf den sie stolz sein konnten.
1993 hatte alles begonnen, sich zum Besseren zu wenden. Damals schlossen sich die Bewohner des Gelobten Landes zusammen und gründeten die Interessenvertretung Payatas Scavengers Association, um für ihre Rechte zu kämpfen. Da ihnen niemand half und es offenkundig war, dass sie weder von Beamten noch von Frühaufstehern im Präsidentenamt Unterstützung erfahren würden, mussten sie sich selbst darum kümmern, ihrer vergessenen Welt etwas Würde zurückzugeben. Der An- und Verkauf aller zur Wiederverwertung geeigneten Wertstoffe der Mülldeponie lag in den Händen der Kommunalbeamten und örtlichen Unternehmer, die den Gewinn des Geschäftes unter sich aufteilten. Die Zwischenhändler veräußerten die Wertstoffe an große Wiederverwertungsfirmen, die sie ihrerseits nach der Aufbereitung an die von der Unternehmerelite kontrollierten Firmen weiterverkauften, damit diese daraus neue Waren herstellen konnten – ein Kreislauf, der früher oder später wieder an seinen Ausgangspunkt zurückführte: das Gelobte
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