Kinder des Monsuns
weg«, versichert er und sucht dabei mit dem Blick Edelbertos Zustimmung.
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|103| Kapitel 4
Teddy – Der Preis der Demokratie
|105| S ie haben sich um den Leichnam versammelt, ohne zu wissen, was sie mit ihm tun sollen. Teddy Mardani, gestorben an einem Schuss in die Seite, ist ihr einziger Beweis, dass die Soldaten auf sie geschossen haben. Sie bringen Teddy in einen der Hörsäle der Universität Atma Jaya von Jakarta und improvisieren dort eine Leichenhalle. Einige Studenten stimmen eine patriotische Hymne an, in der von gefallenen Helden die Rede ist, während ein Mädchen mit langem, schwarzem Haar und verweinten Augen die Namen der Demonstranten an die Tafel schreibt, die am letzten Tag der Proteste gegen die Regierung ums Leben gekommen sind. Sigit, Lukman, Muzamil, Noerma, Heru, Teddy Mardani…
Es wird diskutiert, wer von ihnen die Eltern von Teddy verständigen und was man ihnen sagen soll. Vor einigen Stunden hatten sie keine Angst, sich Hundertschaften bewaffneter Soldaten entgegenzustellen, doch jetzt laufen sie nervös hin und her, streiten sich wie Kinder und suchen nach Ausflüchten, um sich vor der unangenehmen Pflicht zu drücken.
»Wir müssen ihnen die Wahrheit sagen«, übertönt einer der Studenten seine Kommilitonen.
»Nein, wir sagen besser, dass auf ihn geschossen wurde und er hier ist, dass wir aber nicht wissen, in welchem Zustand er ist«, schlägt ein anderer vor.
»Aber er ist doch tot, oder?«, wirft ein Dritter ein.
|106| »Gut, sag es ihnen, aber erzähl ihnen, dass er auf der Stelle tot war.«
Auf der Stelle tot, ist das möglich? Wird es da nicht eine Tausendstel Sekunde geben, einen kleinen Seufzer in der Zeit, vom Auftreffen des Schusses, bis wir zu Boden stürzen, in dem wir wissen, dass wir getroffen sind und alles zu Ende geht? Auf der Stelle sterben: Ist das besser? In völligem Unwissen abzutreten, ohne uns von uns selbst zu verabschieden, ohne unserem Henker noch einen Blick zuzuwerfen, der seinen Verbleib unter den Lebenden ein klein wenig unerträglicher macht?
Noch wenige Stunden zuvor hegte Teddy nicht den geringsten Verdacht, dass er sterben könnte. Das Leben hatte ihn noch nicht gelehrt, dass einem auch Schlimmes widerfahren kann, und so schließt sich der junge Student des Indonesischen Technologieinstituts, furchtlos aus Unwissenheit, Kommilitonen anderer Universitäten zu einem Marsch auf das Parlament an, um echte demokratische Reformen und die politische Neutralität der Armee zu fordern.
Zwei Kilometer vor dem Parlamentsgebäude, auf der Höhe der Semanggi-Brücke im Zentrum der Stadt, blockiert die Polizei den Zug. Die Sicherheitskräfte haben sich in Schlachtreihen formiert, die an ein Gefecht aus einer anderen Zeit erinnern. In vorderster Reihe steht die Bereitschaftspolizei mit Tränengas, Schilden und hölzernen Schlagstöcken, hinter ihr hat sich die bewaffnete Polizei mit automatischen Waffen postiert, dahinter sind die Soldaten der Spezialkräfte mit Panzern und Sturmgewehren in Stellung gegangen. Letztere sind die Einzigen, die das Recht haben, zu schießen, wenn die vorderen Linien durchbrochen werden. Sie agieren in dem Wissen, für Kampfeinsätze strafrechtlich nicht belangt werden zu können, und sind daran gewöhnt, von diesem Privileg Gebrauch zu machen.
Die Aufstellung der Studenten ist etwas chaotischer. Alle wollen nach vorn. Auch sie sind bis an die Zähne bewaffnet – mit Fahnen, Plakaten und Megafonen. Als sie Aug in Aug vor ihnen |107| stehen, verspotten die Studenten die Soldaten und ihre Waffen. Ein junger Mann steigt auf das Dach eines alten Autobusses und ruft von oben herab: »Geht nach Hause, verweigert den Befehl, wenn euch jemand auffordert, auf das Volk zu schießen. Wer ist das Volk? Diese Politiker, die den Tag damit verbringen, die Parlamentssessel mit ihren Furzen zu wärmen? Kämpft auf unserer Seite!«
Stunden vergehen, während Studenten und Soldaten sich weiter gegenseitig provozieren. Erstere wollen weiterziehen, Letztere haben Befehl, einen Durchbruch zu verhindern. Es ist seltsam, dass sich beide Seiten so sprachlos gegenüberstehen, sind doch die einen wie die anderen, Soldaten wie Studenten, im gleichen Alter, einige gerade einmal Heranwachsende von 17, 18 Jahren, die meisten um die zwanzig. Viel hätte nicht anders laufen müssen im Leben einiger dieser Soldaten, um nun auf der Seite der Studenten zu stehen und umgekehrt. Hätten die Eltern dieses oder jenes Soldaten nur
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