Kinder des Monsuns
Land. Den Sammlern, die den lieben langen Tag in den Abfällen wühlten, zahlte man weniger als den realen |92| Wert der Wertstoffe, die beste Garantie dafür, dass sie dort lange Zeit ausharren würden.
Die Genossenschaft der Müllsammler änderte dieses System. Vereint konnten die Anwohner von Payatas nun bessere Preise erzielen, und die zusätzlichen Mittel verwandten sie darauf, ihre Lebensbedingungen zu verbessern. Die örtliche Schule wurde endlich in Betrieb genommen, und auch wenn Wochen ins Land gehen konnten, ohne dass sich der vom Gestank abgeschreckte Lehrer auf seinem Posten blicken ließ, erfüllte das Bild der Kinder, die mit makellosen Uniformen, am Vorabend gewissenhaft von den Müttern gewaschen, zur Schule gingen, die Bewohner mit Befriedigung. Man besserte einige der Hütten aus und zementierte die Wege, die während des Monsuns am häufigsten im Schlamm versanken. Die Pfade zwischen den Müllbergen waren sauberer als die Boulevards von Manila. Abends konnte man dort Frauen fegen sehen, ein Bild, das inmitten eines Universums aus Abfall schockieren mochte, jedoch seinen Sinn in dem Wunsch hatte, dem Unrat Raum abzutrotzen.
Die Bewohner des Gelobten Landes erblickten, wenn sie sich umsahen, bereits seit langem einen respektablen, einen besseren Ort. Und es war ein Ort, der ihnen gehörte, denn solange die Abfälle der großen Stadt hierher kamen, würde ihnen niemand dieses Stück Land streitig machen wollen. Weitere Verbesserungen in Payatas erreichte eine Kampagne zur Registrierung seiner Bewohner. Ordentliche Papiere zu haben war in den Vierteln aus Wellblech und Karton immer wichtig. Ohne sie werden die Bewohner in kein Krankenhaus eingelassen, können keine Klage bei Gericht einreichen, sie können ihre Kinder nicht in öffentliche Schulen einschreiben, sich auf die meisten Arbeitsstellen nicht bewerben, nicht legal heiraten, nicht einmal das Elend ihrer Eltern erben oder wählen. Einmal registriert, sind die Einwohner des Gelobten Landes zu einer Kraft geworden, mit der man rechnen muss. Die Politiker müssen sich bei jeder Wahl die Nasen zuhalten und sogar auf der Müllhalde selbst um Stimmen bitten. Das Elend zu riechen: |93| Müsste das nicht eine unverzichtbare Bedingung im Lebenslauf eines jeden Politikers sein?
Die Politiker haben dem Gelobten Land viel versprochen, doch seine Bewohner glauben nur einem von ihnen: dem ehemaligen Schauspieler Joseph Estrada. Die Armen sehen in dem nachtschwärmerischen Präsidenten die Figur seiner Filme, allzeit bereit, die Schutzlosen zu verteidigen und den Mächtigen entgegenzutreten, in einem Land, wo es so etwas nur in der Fiktion geben kann. »Dieser Kerl ist anders«, sagen sie. »Auch er hat in einer Baracke gelebt und musste hart arbeiten, bevor er Erfolg hatte und der Misere entkommen konnte«, wissen sie zu berichten. »Stehlen soll er? Das wurde aber auch höchste Zeit, dass mal einer von uns stiehlt.« Estrada gewann die Wahlen von 1998 mit der größten Mehrheit in der demokratischen Geschichte des Landes dank seiner bescheidenen Herkunft und der surrealsten Wahlbotschaft, die mir je untergekommen ist: »Ihr hattet schon intelligente Leute an der Macht, jetzt wird es Zeit, dass einer von euch regiert.«
Nach der großen Mülllawine von Payatas erwarten die Bewohner, dass der Präsident aus der Leinwand tritt und zu ihrer Rettung eilt. Doch der politische Führer, ihr Idol, hat schon lange vergessen, wo er herkommt. Er verbringt einen Großteil seiner Zeit damit, sich bei der Elite von Makati beliebt zu machen, die ihn nie akzeptiert hat und auf die Chance wartet, ihm einen Tritt in den Hintern zu versetzten. Estrada ist keiner von ihnen, und was immer er tut, er wird es niemals sein. Der Präsident verspricht, die Opfer des Unglücks zu entschädigen, allen Geschädigten Arbeit zu verschaffen und die Deponie zu schließen, doch von diesen Versprechungen löst er in den folgenden fünf Monaten nur das letzte ein. Die Lastwagen fahren eine Zeitlang nicht mehr das Gelobte Land an, während die Behörden vergeblich versuchen, einen anderen Ort zu finden, wohin sich der Müll Manilas kippen ließe. Kurze Zeit hat es den Anschein, als ob sich das Blatt gewendet hätte: Die große Stadt verwandelt sich in eine Müllhalde, der Unrat häuft sich auf den Straßen Manilas, während die Abfallberge Payatas schrumpfen |94| . Wird der Tag kommen, an dem die Müllsammler das Müllmatterhorn erklimmen und in der Ferne nichts anderes sehen als gewaltige
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