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Kinder des Monsuns

Kinder des Monsuns

Titel: Kinder des Monsuns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Jimenez
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Tante finden einige Kilometer von ihrem Haus entfernt die Leichen von drei jungen Männern. Sie sind so eingeschneit, dass nur noch einige Kleiderzipfel aus dem |143| Schnee schauen. »Wir haben sie nicht freibekommen, ihre Körper waren festgefroren«, erzählt Mariam. »Wir haben den Schnee von ihren Gesichtern gegraben und gesehen, dass es meine drei Vettern waren. Wir haben alle geweint. Später sind wir zurückgekehrt und haben sie begraben. Alle Frauen haben geweint.« Bei den Leichen fanden sie auch Miriams Vater, der wie durch ein Wunder noch am Leben war: Die Taliban hatten ihn für zu alt befunden, um eine Waffe zu tragen.
    Zu Tode geängstigt, fürchten die Frauen, dass die Soldaten jeden Augenblick zurückkehren können, und machen sich auf die Flucht. Sie wollen sich hinter der pakistanischen Grenze in Sicherheit bringen und Afghanistan und die Angst hinter sich lassen, statt den Himmel nach Anzeichen eines Monsunregens abzusuchen, der nie kommt, und eines Kriegs, der nie geht. Sie haben beschlossen, ihr Land aufzugeben und aus dem Bamiyan-Tal zu fliehen.
    *
    Niemand erinnert sich mehr daran, aber der Krieg war nicht immer der Naturzustand Afghanistans, auch wenn er für die Afghanen wie die Dürren, die Erdbeben und die harten Winter ihres Landes den Charakter eines unvermeidlichen Unglücks angenommen hat. Kabul war in den sechziger und siebziger Jahren das Ziel europäischer Rucksacktouristen, die feine Gesellschaft von Pakistan suchte in der afghanischen Hauptstadt Zerstreuung und tanzte in ihren Diskotheken, die Frauen trugen hier im Winter Jeans und im Sommer Röcke. Doch auch das Schicksal Afghanistans, wie Kambodschas und so vieler anderer Länder, sollte in Büros Tausende Kilometer entfernt entschieden werden.
    Im Dezember 1979 marschierten die Sowjets in dem Land ein, um die kommunistische Regierung zu stützen, die kurz zuvor durch einen Staatsstreich an die Macht gekommen war. Junge Afghanen sahen sich aufgerufen, zu den Waffen zu greifen, um ihre Würde, ihr Eigentum und ihre Familien zu verteidigen. Die |144| USA witterten eine Chance, ihrem Rivalen im Kalten Krieg eine Schlappe zuzufügen, und halfen den Aufständischen mit Waffen und Ausbildung. Afghanistan verwandelte sich in die Mutter aller heiligen Kriege.
    Milizionäre aus der ganzen muslimischen Welt lernten im afghanischen Krieg das Kriegshandwerk – darunter der damals noch unbekannte Osama bin Laden. Sie errangen den Sieg und trugen ihr Teil dazu bei, ein Imperium zu stürzen, dessen Überleben wie das aller anderen Imperien vom Glauben an seine Unbesiegbarkeit abhing. Nach dem Sieg und dem Rückzug der Sowjets kehrten viele der ausländischen Freiwilligen in ihre Länder zurück, in der vergeblichen Hoffnung, dort wie Helden empfangen zu werden. Mehr denn je glaubten sie an die Überlegenheit ihres Gottes, wobei sie freilich vergaßen, dass es nicht Allah gewesen war, der den Sieg bewirkt hatte, sondern dieser verdankte sich der angeborenen Neigung der Völker, ausländischen Invasoren zu trotzen, den Stinger-Raketen der Amerikaner und den Öldollars der Saudis.
    Die Welt, allen voran die USA, vergaß Afghanistan und seine Befreier umgehend und ließ es zu, dass sich die verschiedenen Fraktionen, die gegen die Sowjets gekämpft hatten, nun gegenseitig zerfleischten, um das an sich zu reißen, was von ihrem Land noch übrig geblieben war. Dank der Unterstützung Pakistans und des Wunsches der Afghanen, endlich Ordnung in diesem Chaos zu schaffen, gelang es schließlich den Taliban mit ihrem islamischen Puritanismus, den Bürgerkrieg für sich zu entscheiden.
    Die arabischen Mudschaheddin, in nichts anderem geübt als im Krieg und enttäuscht darüber, wie man sie in ihren Ländern empfangen hatte, suchten sich andere Schlachtfelder, von Kaschmir bis Mindanao, um nicht immer nur nach Afghanistan zurückzukehren, das einzige Land, in dem man sie so aufnahm, wie sie es zu verdienen meinten. Sie wollten wieder das Machtgefühl der Waffen verspüren, das unbeschreibliche Gefühl des Sieges gegen die Ungläubigen auskosten und sich am Nektar des Triumphes laben. Dazu brauchten sie einen neuen Feind und wandten sich gegen |145| jene Macht, von der sie so viele Jahre alimentiert und in ihrer Wut bestärkt worden waren: den Westen und seine Führungsmacht Amerika.
    In Afghanistan begann ein neuer Krieg. Oder war er nur ein Teil ein und desselben endlosen Kriegs? Osama bin Laden und seine Milizen heckten einen Plan aus, der über die

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