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Kinder des Monsuns

Kinder des Monsuns

Titel: Kinder des Monsuns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Jimenez
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afghanischen Grenzen hinausführte: Sie wollten die Angst, die ein afghanischen Kind fühlt, ins Herz des Westens tragen. Dann würden auch die Menschen im Westen ein Flugzeug über New York, Paris oder London sehen und an einen Angriff denken. Ein Hasara-Mädchen in Afghanistan und ein anderes in den USA, deren Schicksale so unterschiedlich waren: Beim Geräusch von Flugzeugmotoren würden beide unruhig den Himmel absuchen und augenblicklich dieselbe Angst verspüren.
    *
    11. September 2001: Lange bevor mir klar wird, dass sich die Welt vor meinen Augen verändert, gilt mein erster Gedanke beim Einsturz des World Trade Center Afghanistan. Als ich am nächsten Morgen aufwache, erreicht mich eine Nachricht meiner Zeitung, die meine Ahnung bestätigt: »Flieg schnellstmöglich nach Afghanistan, dort werden die Amerikaner zuerst zuschlagen.«
    Jahre früher, in meinem Journalismusstudium, hatte ich immer davon geträumt, Kriegsreporter zu werden. Während uns die Professoren das Prinzip der umgekehrten Pyramide nahebrachten – beginnend mit dem Kern jeder Meldung: Wer hat was, wann, wo, wie und warum getan? –, träumte ich mich an irgendeinen Ort im Nahen Osten, Afrika oder Asien fort und stellte mir vor, wie ich packende Berichte aus den Schützengräben schrieb. Ich ahnte nicht, dass meine romantische Vorstellung von der Arbeit eines Kriegsreporters schon seit Jahren veraltet war, ein ums andere Mal von den kriegführenden Parteien kompromittiert, wenn nicht gar vom »Eigenbeschuss« der Journalisten |146| selbst, die es im Schlachtgetümmel mit der Wahrheit nicht so genau nahmen.
    In meinen ersten Jahren in Asien hatte ich von Konflikten in Indonesien, Kaschmir, im Süden der Philippinen und in Osttimor berichtet. Doch dieses Mal würde es anders werden, Afghanistan war
die
dicke Story, nicht irgendein vergessener Konflikt, bei dem der Abdruck meiner Reportage kippen konnte, je nachdem, ob die spanische Königsfamilie die Geburt eines Erben verkündete oder die Fußballnationalmannschaft ein wichtiges Spiel gewann. Dieses Mal war es ein »richtiger« Krieg, einer, von dem live berichtet wird, mit Schlachten, die zwischen Kampfjets der neuesten Generation und Fernlenkraketen auf der einen und bettelarmen Kämpfern auf der anderen Seite ausgetragen würden, die mit alten AK- 47 -Gewehren wild durcheinanderschossen, das alles zur besten Sendezeit und nur von Wodkawerbung unterbrochen. Der Moment war gekommen, zu einem wirklich spektakulären Krieg aufzubrechen.
    Mit einer Maschine der Pakistan International Airlines – deren Kürzel PIA wegen ihrer ständigen Verspätungen und Flugstreichungen von manchen als
Perhaps I’ll Arrive
verballhornt wird (»vielleicht komme ich an«) – fliege ich in die pakistanische Hauptstadt Islamabad. Die Lobby des Hotels Marriott füllt sich mit TV-Teams und Journalistengepäck. Man sieht Reporter der größten Fernsehsender in kugelsicheren Westen live von der Hotelterrasse aus berichten, ein wirklich attraktives Bild, wenn nicht schon allein deshalb, weil noch gar keine Schüsse gefallen sind und die Kugeln, falls die Amerikaner nicht extrem schlecht zielen, nur im Nachbarland in über 200 Kilometer Entfernung »über unsere Köpfe hinwegzischen« werden.
    Unter den Berichterstattern sind auch Grünschnäbel, die in ihren Heimatländern noch nie über etwas Aufregenderes als eine Pressekonferenz berichtet haben. Sie rücken in kompletter Touristenausrüstung mit Karten und Feldflasche an und bringen es fertig, Islamabad, die langweiligste Stadt der Welt, als eine wirklich |147| spannende Metropole zu schildern. Daneben gibt es aber gute Journalisten, darunter manch ein Veteran ungezählter Schlachten, die für eine ehrliche Berichterstattung Kopf und Kragen riskieren.
    Komplettiert wird der Medienklüngel durch unerträgliche Wichtigtuer, die das Hotel der Front vorziehen. Die größte Gruppe bilden die Reporter, die um jeden Preis das schnelle Geld machen wollen. Sie wollen selbst zur wichtigsten Nachricht werden – was im Krieg gar nicht so einfach ist –, schreiben ein Buch und berichten wieder über den nächsten Konflikt in kugelsicherer Weste von einer Terrasse aus, die Hunderte Kilometer vom Kampfgeschehen entfernt liegt. Der Krieg ist für sie nur die Kulisse, vor der sie zu Stars aufsteigen möchten. Die Menschen, die ihn erleiden, dienen ihnen als bloße Komparsen.
    Wie bei einem schlechten Film sind Anfang und Ausgang dieses Kriegs schon vorher bekannt. Seit Jahren

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