Kinder des Monsuns
bedeckt. Es zeigt General Wiranto, der vor dem Hauptmann salutiert, ein Foto aus besseren Zeiten. Das Bild nimmt unter den Fotos der Familie und in den Erinnerungen des alten Soldaten einen Ehrenplatz ein.
Ich wollte Herrn Samsudin erzählen, dass ich den Leichnam seines Sohnes auf dem Campus sah, dass ich erlebte, wie die anderen Studenten ihn wie einen Helden ehrten. Ich wollte ihm sagen, dass die Soldaten an der Brücke in die vorderste Reihe vorgerückt waren, sich niedergekniet und auf die unbewaffneten Studenten geschossen hatten, und dass jede Salve von ihren Waffenkameraden bejubelt worden war, dass sie lachten und Freudentänze aufführten, als sie die Studenten niedergeschossen hatten. Ich wollte ihm verständlich |132| machen, dass diese Soldaten es waren, und nur sie, die Scham über den Tod Teddys empfinden sollten. Ich wollte ihm versichern, dass Teddy nicht umsonst gestorben war und Indonesien dank seines Opfers heute ein stärkeres und gerechteres Land sei. Ich wollte ihm sagen, dass er stolz auf Teddy sein konnte.
Ich behalte all das, was ich dem Hauptmann sagen wollte, für mich.
Vor dem verlorenen Blick eines besiegten Mannes, der sich an das Album klammert, in dem ihm der Offizier salutiert, der den Schießbefehl auf seinen Sohn gegeben hatte, trage ich meine Worte mit mir fort, wohl wissend, dass mich bei meinem nächsten Besuch in Indonesien die Erinnerung an Teddy und jene junge Frau mit langem, schwarzem Haaren, die ihn beweinte, während sie seinen Namen an die Tafel in der Universität von Atma Jaya in Jakarta schrieb, noch immer begleiten wird.
135
162
135
162
false
|134|
|135| Kapitel 5
Mariam – Wenn statt Regen Bomben fallen
|137| N och das letzte Fünkchen meines vermeintlichen Muts verlöschte spurlos, als ich mich in einer timorischen Pension von einer mordlustigen Miliz umzingelt sah. Mich hatte die Todesangst gepackt, unter der die Timorer über ein Vierteljahrhundert indonesischer Besatzung hinweg Tag für Tag gelitten hatten. Nur hatten sie diese Angst weit stoischer ertragen. Auch was die Angst betrifft, ist unsere Welt offenbar zweigeteilt. In einer europäischen Stadt mag uns Angst überkommen, wenn wir nachts allein durch eine dunkle Gasse gehen. Wir befürchten, dass die Börse abstürzt, dass wir unsere Arbeit verlieren oder die Freundin nicht zu uns passen könnte. Es sind flüchtige Ängste, nur selten werden sie durch eine echte Bedrohung oder ein großes Risiko ausgelöst. In Wahrheit bietet uns das Leben nicht genug Anlass, uns zu ängstigen, daher gehen wir ab und zu in einen Gruselfilm, in der Hoffnung, uns durch den Nervenkitzel ein bisschen intensiver zu erleben.
Die Angst in den »unwichtigen« Ländern dieser Welt ist nicht flüchtig, sie verfolgt ihre Bewohner vom Aufstehen bis zum Schlafengehen, von der Wiege bis zur Bahre. Auf einer Müllhalde namens Gelobtes Land auf den Philippinen treibt die Eltern die Angst um, dass sich die Ratten über ihr schlafendes Baby hermachen, daher ist eines ihrer kostbarsten Besitztümer ein unter die Decke gehängter Weidenkorb, in dem der Säugling sicher schlafen kann. |138| In kambodschanischen Dörfern haben die Menschen Angst vor den Tretminen, die in der Zeit des Bürgerkriegs in den Reisfeldern vergraben wurden. In Afghanistan kommt die Angst mit dem Düsenlärm eines Flugzeugs. Das gleiche Geräusch, bei dem wir an Urlaub oder den Besuch entfernt lebender Verwandter denken, weckt in afghanischen Kindern die Angst vor einem Bombenangriff. »In Afghanistan regnet es mehr Bomben als Wasser«, sagte mir einmal der alte Portier des Hotels Intercontinental in Kabul, Mohamed Ayan, und raufte sich den Bart, der über dem vergeblichen Warten auf das Kriegsende ergraut war.
Die afghanische Minderheit der Hasara ist daran gewöhnt, den Himmel nach Anzeichen von Regen abzusuchen, nur um ein ums andere Mal festzustellen, dass der Himmelsgott Bomben regnen lässt. Ihr Land ist mit Naturschönheiten gesegnet, doch immer wieder wird es von den übelsten Auswüchsen menschlicher Niedertracht heimgesucht. Hohe Gebirgszüge schirmen das Bamiyan-Tal im Herzen Afghanistans von den warmen Winden des indischen Monsuns ab, die im Vorüberziehen nur den äußersten Osten des Landes benässen, während in den Dörfern dieser zentralen Region die Niederschläge nie ganz reichen, um die Tiere zu tränken und die Felder zu bewässern.
Die ständige Dürre zwingt die Menschen, kilometerweit zum nächsten Trinkwasserbrunnen zu gehen.
Weitere Kostenlose Bücher