Kinder des Monsuns
gewähren die Taliban den Anführern der Terrororganisation al-Qaida Unterschlupf und haben Osama bin Laden erlaubt, hier Ausbildungslager und sein Hauptquartier einzurichten, von dem aus er seine Angriffe gegen die USA organisiert. Falls sie ihre Gäste nicht herausgeben – und wer ihre Weltfremdheit kennt, hat die Gewissheit, dass sie das zuallerletzt tun werden –, dann werden so viele Bomben auf Afghanistan hageln, dass der Einmarsch der Russen in den achtziger Jahren im Vergleich dazu wie ein Kinderspiel aussehen wird.
Der Medienklüngel versammelt sich jeden Tag beim Frühstück wie eine Schulklasse zur Schulspeisung. Reihum hört man stets dieselbe Frage, was man an diesem Tag vorhat: »Na, Kollege, worüber schreibst du heute, was geht ab, wo ist heute die Action?« Es ist eine Art von Brainstorming, das dazu führt, dass eine Story, die jemand ausgräbt, von einem Kollegen zum anderen wandert, bis alle sie gemacht haben und alles von vorn beginnt.
Eine der Ideen, die von allen aufgegriffen wird, besteht darin, in die pakistanischen Stammesgebiete zu fahren und die Schüler der Koranschulen zu interviewen, die mit ihrem Bündel nach Afghanistan aufbrechen, »um Amerikaner zu töten«. Rahatullah, ein |148| junger Mann von 25 Jahren, der früher in der Armee des »Führers der Gläubigen« gekämpft hat, beteuert, ungeduldig auf den Beginn der Kampfhandlungen zu warten. Sein Optimismus folgt einem schlichten Gedanken: Wenn die Amerikaner so viele Dinge haben und es ihnen so gut geht, wie es im Fernsehen aussieht, muss ihre Angst, zu sterben und alles zu verlieren, größer sein als die seine. Für ihn und seine Freunde komme das Gute dagegen erst nach dem Tod, im Paradies der Jungfrauen und der Ströme von Milch und Honig, von dem die Geistlichen in den Moscheen predigen. »Ich werde diesen Dschihad genießen«, prahlt Rahatullah, glücklich wie ein Junge vor der Fahrt ins Zeltlager.
Die Tage vor Beginn der
Operation Enduring Freedom
vergehen zwischen Geschichten wie jener Rahatullahs und Nächten im United Nations Club, einer der wenigen Orte, wo Alkohol ausgeschenkt wird. Trotz seines Namens, der vermeintlich für kulturelle Vielfalt steht, ist der Laden rassistisch genug, um den Einheimischen den Eintritt zu verwehren. Er hat viel von einem Club und wenig von den Vereinten Nationen. Abends ist er rammelvoll mit Journalisten.
An einigen Abenden, wenn die Vereinten Nationen geschlossen haben, suchen Pekka Mykkanen und ich ein Lokal, wo wir einen letzten Schluck nehmen können, und landen im China Club, einem Etablissement, wo reiche Pakistaner die Dienste russischer Prostituierter in Anspruch nehmen und Gin trinken, bevor sie am nächsten Tag wieder Vorträge über den moralischen Verfall und den schlechten Einfluss des Westens halten. Pekka hat den Wodka noch nicht aufgegeben, ich habe es nie versucht, und im China Club wird einer serviert, nach dem man am nächsten Tag noch schreiben kann.
Die Begeisterung für den Beruf, die mein finnischer Kollege bei unserem gemeinsamen Rückflug von den Philippinen nach dem Fall Estradas an den Tag gelegt hatte, ist verflogen. Er ist drauf und dran, abzureisen, angewidert vom Medienklüngel und dem Spektakelkrieg, der nicht aufhört, anzufangen. »Dieser Krieg ist eine |149| Farce«, wettert Pekka und hält mit seiner Enttäuschung nicht hinter dem Berg. »Alle beten nach, was die Amerikaner auf ihren Pressekonferenzen vorbeten. Einige erfinden ihre Storys gleich ganz. Das ist doch alles nur ein Wettkampf der Egos, nicht mehr.«
Sonntag, 7. Oktober 2001: Das Spektakel beginnt. Die ersten Bombenangriffe auf Kandahar, Kabul und die Nordfront, wo die Soldaten der Taliban seit Jahren versuchen, den letzten Winkel des Landes zu unterwerfen, der mit Zähnen und Klauen von Ahmed Shah Masud, dem »Tiger von Panshir«, und seiner Nordallianz verteidigt wird. Ich schnappe mir einen Notizblock und laufe nach draußen, um auf den Straßen von Islambad, auf denen in den Tagen zuvor täglich Demonstrationen gegen eine amerikanische Intervention stattfanden, erste Reaktionen der Bevölkerung einzufangen. Der Fahrstuhl bewegt sich abwärts Richtung Erdgeschoss. Nach einigen Sekunden kommt er abrupt zum Halt und schwingt leicht zu einer Seite, dann gehen,
pluck,
die Lichter aus. Ich sitze in der Falle.
Unglaublich. Da habe ich so lange gewartet, um über den verfluchten Krieg zu berichten, und gerade, als er anfängt, sitze ich im Lift fest. Wenn die Sache nicht bald behoben
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