Kinder des Monsuns
wünsche ihm das Glück, das ihn in so vielen Konflikten begleitet hat – und das ihn dieses Mal im Stich lassen wird. Die Grenzen, die mir wochenlang verschlossen blieben, öffnen sich für ihn, kaum dass er in Islamabad |154| gelandet ist, als hätte jemand hinter der Tür nur auf meine Abreise gewartet. Das Taliban-Regime stürzt in sich zusammen. Die Afghanen haben bei vielen Gelegenheiten ihre Bereitschaft bewiesen, ihr Leben für ihr Land zu opfern, doch niemand rührt einen Finger zur Rettung eines neurotischen Regimes, das das Leben der Menschen in ein Inferno verwandelt hat.
Kabul ist gefallen, und bei dieser Nachricht kommt mir als Erstes der junge Rahatullah in den Sinn, mit dem ich an der Grenze kurz vor seiner Reise an die Front des heiligen Kriegs ins Gespräch gekommen war. Wenige Tage Dauerbombardement haben ausgereicht, um Tausende von Rahatullahs in die Flucht zu schlagen. Niemand kann ihnen einen Vorwurf machen: Panzer, Artilleriegeschütze und Wachposten der Taliban werden mit chirurgisch präzisen Luftschlägen eingeäschert. Schützengräben nützen nichts, wenn Bomben regnen, die Krater von der Größe von Fußballfeldern in den Boden reißen. Die Mudschaheddin hatten die Grenze nach Afghanistan überquert, überzeugt, ins Paradies zu reisen, und fanden sich in der Hölle wieder. Plötzlich zweifeln sie: Erwarten mich wirklich Jungfrauen, Milch und Honig, wenn mich eine dieser Bomben in Stücke reißt? Oder werde ich wie ein Russenkriegsveteran auf den Straßen von Rawalpindi um Almosen betteln und über den Boden robben, weil ich kein Geld für Prothesen habe?
Wenn es wirklich existiert, kann das Paradies warten.
Der Fall des Regimes verwandelt Afghanistan von einem auf den anderen Tag in ein gesetzloses Land. Das Einzige, was die Koranschüler von Kandahar mit ihrer brutalen Wiederbelebung des mittelalterlichen Strafkodex’ und ihren Hinrichtungen in den Halbzeiten von Fußballspielen erreicht haben, war, die Ordnung in der terrorisierten Bevölkerung aufrechtzuerhalten. Nun, wo sich die Tugendwächter aus den Dörfern zurückziehen und unter das Volk mischen, gibt es weder Polizei noch Armee, niemand, der für Ordnung sorgt. In diesem Augenblick gibt es wahrscheinlich auf der Welt keinen Ort, wo ein Menschenleben weniger zählt als |155| in Afghanistan, wo die Menschen den Krieg, die Repression und das Elend so satt haben. Und für kaum einen Ort im Land gilt dies wohl mehr als für den Sarobipass, der in den Jahren der Besatzung zur tödlichen Falle für russische Panzer wurde und schon seit dem 19. Jahrhundert ein bevorzugter Hinterhalt von Wegelagerern und Halsabschneidern ist.
Julio Fuentes, die italienische Journalistin Maria Grazia Cutuli sowie der australische Kameramann Harry Burton und der Fotograf Asisula Haidari von der Nachrichtenagentur Reuters sind auf dem Landweg nach Afghanistan gereist und beschließen nach einigen Tagen in Dschalalabad, mit einem Pressekonvoi von acht Fahrzeugen über den Sarobipass nach Kabul zu fahren. Eine Bande von Banditen, abtrünnige Taliban und einfache Tagediebe, hält sie auf halbem Weg in der Nähe der Brücke von Tangi Abrishum an. Asisula Haidari, der einzige Afghane unter den Journalisten, begreift, dass es sich nicht um einen einfachen Raub handelt, und fleht um Gnade: Sie sind doch nur Journalisten und unparteiisch, sie sind doch nur gekommen, um ihre Arbeit zu tun. Alle vier Journalisten werden kaltblütig hingerichtet.
In meiner Hongkonger Wohnung klingelt das Telefon. Freunde haben die Meldung gehört, dass ein Journalist von
El Mundo
in Afghanistan ermordet wurde, nun glauben sie, es handele sich um mich. Als sie meine Stimme hören, atmen sie erleichtert auf: »Himmelherrgott, geht es dir gut? Wir dachten schon, du bist tot.« Es ist dumm, sich für Julios Unglück verantwortlich zu fühlen, rede ich mir ein, und versuche, den Gedanken abzuschütteln, dass er noch am Leben sein könnte, wenn ich nicht bei der Zeitung angerufen hätte und um Ersatz gebeten hätte.
Seine Frau Monica wird nach Pakistan reisen, um den Leichnam ihres Mannes abzuholen. Man bittet mich, sie zu begleiten. Im Hotel Pearl Continental in Peschawar erwartet man Julio noch zurück, als wir dort eintreffen. Wir erklären die Lage, bezahlen seine Rechnung, nehmen seine Sachen an uns, treffen uns mit dem Wagen, der seine sterblichen Überreste von der anderen Seite |156| der Grenze geholt hat, und fahren mit ihm zur spanischen Botschaft in Islamabad. Die Nacht
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