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Kinder des Monsuns

Kinder des Monsuns

Titel: Kinder des Monsuns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Jimenez
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hindurch sprechen wir über unsere Erinnerungen an ihn, reden von den Kriegen, in denen er mehr Glück hatte. Bei Tagesanbruch reisen die beiden, Monica und Julio, gemeinsam zurück nach Madrid. Ich bleibe, um die Arbeit Julios zu übernehmen, dieses Mal bis zum Ende. »Pass gut auf dich auf«, gibt mir Monica mit auf den Weg. »Hörst du? Es lohnt nicht… so zu sterben.«
    Nur zwei Jahre später trat sie in die Fußstapfen ihres toten Ehemannes und berichtete als Kriegsreporterin für
El Mundo
über den Irakkrieg.
    *
    Ich habe einen Platz in der Chartermaschine der UNO ergattert, die nach Afghanistan fliegt, und ein Zimmer im Intercontinental in Kabul, das niemand wollte. Die Wände sind von Kugeln durchlöchert, der Schreibtisch ist aus vier Brettern improvisiert. Ein Generator hält während der Stromausfälle meinen Computer in Gang. Durch die Fenster, die bei einem Artillerieangriff zu Bruch gegangen sind, dringt die eisige Kälte des afghanischen Winters, die mich antreibt, in aller Eile zu schreiben, um den Bericht schnell abzuschicken und mich in den Schlafsack einzumummeln, den ich in Islamabad gekauft habe. Der Gebrauchtwarenhändler hatte mir versichert, dass dieses Modell von den pakistanischen Soldaten in Kaschmir verwendet würde. Ich wollte ein bisschen feilschen, um einen guten Preis zu bekommen. »Ich glaube, so gut ist er nicht«, hielt ich dagegen. »Ich war letztes Jahr in Kaschmir, und da hat mir ein Offizier erzählt, dass er mehr als 70 Prozent seiner Leute durch die Kälte verliert.«
    »Wenn Sie in diesem Schlafsack sterben«, erwiderte er, »kriegen Sie Ihr Geld von mir zurück.«
    Das Intercontinental hat schon bessere Zeiten gesehen. König Sahir Schah weihte das Hotel 1969 ein, und einige Jahre lang war |157| es die bevorzugte Adresse der afghanischen Elite, der indischen Stars aus Bollywood, von Touristen und von Premierministern auf Staatsvisite. Der Portier Mohamed Ayan hat ihnen allen salutiert, die Tür aufgehalten und sie mit immer demselben Satz willkommen geheißen: »Mohamed, zu Ihren Diensten.«
    Mohamed war in den sechziger Jahren in die afghanische Hauptstadt gekommen, um seinen Militärdienst abzuleisten, und war vom ersten Tag an von den Uniformen der Verkehrspolizisten beeindruckt. Er beschloss, eine Arbeit zu finden, bei der er auch so eine Uniform tragen durfte, denn so würde er, gut gekleidet, eine Frau für sich finden können.
    Beide Wünsche gingen in Erfüllung, doch nie im Leben hätte er sich vorgestellt, dass er in seiner Livree den Untergang der Monarchie, die sowjetische Invasion, den Bürgerkrieg, den Einzug der Taliban und die Bombardements der Amerikaner nach den Attentaten vom 11. September erleben würde, und das alles, ohne vom Haupteingang des Intercontinental zu weichen. »Wir hatten Zeiten, da haben wir monatelang keinen einzigen Gast gesehen«, erzählt er. »Ich bin jeden Tag gekommen, falls doch mal jemand auftauchte, und um mich um das Hotel zu kümmern. Es ist mir ans Herz gewachsen.«
    Ich sah Mohamed Jahr für Jahr auf meinen Reisen nach Afghanistan. Bei einem meiner letzten Besuche wirkte er niedergeschlagen. Wir unterhielten uns über seine Heimat, und er verriet mir, dass er kurz vor seiner Pensionierung stand. »Was für ein Land ist das, wo es mehr Bomben als Wasser regnet?! Das Hotel und ich, wir haben darauf gewartet, dass keine Bomben mehr fallen, und sind darüber alt geworden«, klagte er, während er wohl daran dachte, was aus beiden, Afghanistan und dem Intercontinental, hätte werden können, aber nicht wurde.
    Morgens bietet sich mir von meinem Zimmer aus eine unvergleichliche Aussicht auf das in Morgendunst gehüllte Kabul. Ich kann die Kondensstreifen der amerikanischen Flugzeuge sehen, die zum Tora-Bora-Gebirge fliegen. Der Krieg in Afghanistan ist |158| weitgehend beendet, aber dort, in den Bergen um Dschalalabad, findet die vorletzte Schlacht statt. Tora Bora ist der letzte Rückzugsort der Taliban. Hier glauben die Amerikaner, Osama bin Laden lokalisiert zu haben.
    Die amerikanischen Truppen konzentrieren all ihre Kräfte auf diese Region, ich muss also sobald wie möglich dorthin gelangen, wenn ich von der Operation und womöglich von der Gefangennahme bin Ladens berichten will. Das Problem besteht darin, dass der Weg nach Tora Bora über den Sarobipass führt, jene Route, die erst vor kurzem Julio zum Verhängnis wurde. Man hört jetzt allenthalben Geschichten vom Sarobipass. In der Woche zuvor wurden sechs Afghanen aus

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