Kinder Des Nebels
Kelsier und blinzelte ihr zu. »Aber mach dir jetzt keine Gedanken über ihn. Heute Abend ist es unser Ziel, die Dame Valette Renoux einzuführen. Du brauchst nichts Gefährliches oder Ungewöhnliches zu tun. Zeig dich einfach nur und verlass die Festlichkeit, wenn Sazed es dir sagt. Um das Knüpfen von vertraulichen Kontakten kümmern wir uns später.«
Vin nickte.
»Gutes Mädchen«, sagte Kelsier, streckte die Hand aus und drückte die Tür auf. »Ich verstecke mich in der Nähe der Festung und halte Augen und Ohren offen.«
Vin nickte dankbar. Kelsier sprang aus der Kutsche und verschwand in den finsteren Nebeln.
*
Vin hatte nicht erwartet, dass die Festung Wager in der Dunkelheit so hell erleuchtet sein würde. Das massige Gebäude war in eine Aureole aus dunstigem Licht gehüllt. Als sich die Kutsche ihm näherte, erkannte Vin acht gewaltige Lichter vor dem rechteckigen Gebäude. Sie waren so hell wie Laubfeuer, brannten aber stetiger, und um sie herum waren Spiegel aufgestellt, damit das Licht unmittelbar auf die Festung fiel. Vin konnte sich nicht vorstellen, wozu diese Lichter dienen sollten, denn der Ball fand im Innern der Festung statt. Warum also wurde das Äußere erleuchtet?
»Streckt bitte nicht den Kopf heraus, Herrin Vin«, sagte Sazed vom Kutschbock aus. »Richtige junge Damen gaffen nicht.«
Vin warf ihm einen finsteren Blick zu, zog den Kopf wieder ein und wartete mit Ungeduld und Nervosität darauf, dass der Wagen bei der riesigen Festung vorfuhr. Endlich kam er zum Stillstand, und ein Lakai des Hauses Wager öffnete sofort die Tür. Ein zweiter Lakai erschien und streckte die Hand vor, um ihr hinauszuhelfen.
Vin ergriff die ihr dargebotene Hand und versuchte mit so großer Anmut wie möglich das gerüschte, ausladende Hinterteil ihres Kleides aus der Kutsche zu ziehen. Während sie vorsichtig ausstieg - und angestrengt zu verhindern versuchte, dass sie stolperte -, war sie dankbar für die feste Hand des Dieners. Endlich wusste sie, warum man von den Männern erwartete, dass sie den Damen aus der Kutsche halfen. Es war gar kein so dummer Brauch - das einzig Dumme war die Damenkleidung.
Sazed übergab die Kutsche einem Diener und ging wenige Schritte hinter ihr her. Er war sogar noch eleganter als sonst gekleidet. Auch wenn seine Robe immer noch das V-Muster zeigte, hatte sie doch eine gegürtete Taille und weite Ärmel.
»Vorwärts, Herrin«, riet Sazed hinter ihr leise. »Tretet auf den Teppich, damit Euer Kleid nicht über die Kieselsteine schleift, und durchschreitet dann das Haupttor.«
Vin nickte und versuchte ihr Unbehagen herunterzuschlucken. Sie kam an einigen adligen Damen und Herren in sehr unterschiedlichen Gewandungen vorbei. Obwohl sie nicht angeschaut wurde, fühlte sie sich wie auf dem Präsentierteller. Ihr Schreiten war nicht annähernd so elegant wie das der anderen Damen, die in ihren Kleidern wunderschön und glücklich wirkten. Vins Hände in den blauweißen Seidenhandschuhen schwitzten.
Sie zwang sich weiterzugehen. Sazed stellte sie bei der Tür vor und überreichte den Lakaien die Einladung. Die beiden in eine rote und schwarze Livree gekleideten Männer verneigten sich vor ihr und winkten sie hinein. Im Foyer hatte sich eine große Aristokratenmenge versammelt, die darauf wartete, in den Hauptsaal eingelassen zu werden.
Was tue ich hier?,
dachte sie panisch. Mit Nebel und Allomantie, mit Dieben, Einbrechern, Nebelgeistern und Schlägen konnte sie umgehen. Doch es machte ihr ungeheure Angst, unter diesen adligen Damen und Herren zu sein, unter ihnen im hellen Licht einherzugehen, für alle sichtbar zu sein, sich nirgendwo verstecken zu können.
»Weiter, Herrin«, sagte Sazed mit besänftigender Stimme. »Denkt an Eure Lektionen.«
Versteck dich! Finde eine Ecke! Schatten, Nebel, irgendetwas!
Vin hielt die Hände steif vor ihrem Bauch gefaltet und ging voran. Sazed schritt neben ihr her. Aus den Augenwinkeln erkannte sie die Besorgnis auf seinem sonst so gelassenen Gesicht.
Er hat gute Gründe, sich Sorgen zu machen!
Alles, was er ihr beigebracht hatte, schien sich wie der Nebel in der Sonne zu verflüchtigen. Sie konnte sich nicht an Namen erinnern, nicht an Gebräuche, an gar nichts mehr.
In der Vorhalle blieb sie stehen, und ein gebieterisch wirkender Adliger in einem schwarzen Anzug drehte sich zu ihr um und sah sie an. Vin erstarrte.
Der Mann schenkte ihr einen herablassenden Blick und wandte sich ab. Deutlich hörte sie, wie der Name »Renoux«
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