Kinder Des Nebels
Robe und die gleiche dunkle Tätowierung um die Augen trug.
Es befand sich eine recht große Anzahl von Obligatoren auf dem Fest. Sie spazierten umher und mischten sich unter die Ballgäste. Dennoch war etwas ... Fernes an ihnen. Etwas, das sie von den anderen absonderte. Sie wirkten beinahe wie Wächter.
Die Garnison beobachtet die Skaa,
dachte Vin.
Anscheinend üben die Obligatoren dieselbe Funktion beim Adel aus.
Das war ein seltsamer Gedanke. Sie war immer der Meinung gewesen, der Adel sei frei. Schließlich war er viel selbstbewusster als die Skaa. Etliche Gäste schienen sich auf diesem Ball gut zu amüsieren, und die Obligatoren machten eigentlich nicht den Eindruck, als seien sie Spione oder übten Polizeifunktionen aus. Dennoch waren sie hier. Sie wandelten umher und beteiligten sich an Gesprächen. Sie waren eine beständige Erinnerung an den Obersten Herrscher und dessen Reich.
Vin wandte ihre Aufmerksamkeit von den Obligatoren ab, deren Gegenwart ihr noch immer Unbehagen bereitete, und konzentrierte sich auf etwas anderes: auf die wunderschönen Fenster. Von dort aus, wo sie saß, konnte sie einige davon sehr gut betrachten.
Die Darstellungen hatten einen religiösen Inhalt, wie es der Adel bevorzugte. Vielleicht sollten sie die Ergebenheit des Hauses zeigen, oder es war Pflicht, solche Fenster zu besitzen. Vin wusste einfach nicht genug, doch auch Valette würde keine Ahnung von diesen Dingen haben, also spielte es keine Rolle.
Glücklicherweise erkannte sie wenigstens eine der dargestellten Szenen, was sie Sazeds Lektionen zu verdanken hatte. Über die Mythologie des Obersten Herrschers schien er genauso viel zu wissen wie über die anderen Religionen, auch wenn sie es als merkwürdig empfand, dass er die Glaubensrichtung studierte, die er als so bedrückend empfand.
Auf vielen Fenstern wurde im Mittelpunkt der Dunkelgrund dargestellt. Er war tiefschwarz - oder eher violett - und formlos, eine rachgierige, mit Tentakeln bewehrte Masse, die über mehrere Fenster kroch. Vin betrachtete sie und die in strahlenden Farben gehaltenen Darstellungen des Obersten Herrschers und war höchst erstaunt über diese von hinten erleuchteten Szenen.
Was war dieser Dunkelgrund?,
fragte sie sich.
Warum wird er so formlos dargestellt? Warum zeigt man ihn nicht so, wie er wirklich war?
Sie hatte sich früher nie Gedanken über den Dunkelgrund gemacht, doch Sazeds Lektionen hatten ihre Neugier erweckt. Ihr Instinkt witterte einen Betrug. Der Oberste Herrscher hatte bestimmt irgendeine schreckliche Bedrohung erfunden, die er angeblich irgendwann in der Vergangenheit besiegt hatte, um sich seine Stellung als Herrscher sozusagen zu verdienen. Doch als Vin nun dieses schreckliche, sich windende Ding anstarrte, glaubte sie beinahe an dessen Existenz.
Was war, wenn es so etwas wie den Dunkelgrund
wirklich
gegeben hatte? Und wenn es so war, wie hatte der Oberste Herrscher ihn dann besiegen können?
Seufzend schüttelte sie den Kopf über diese Gedanken. Sie dachte schon zu sehr wie eine Adlige. Sie bewunderte die Schönheit der Dekorationen, dachte über deren Bedeutung nach und verschwendete kaum einen Gedanken an den Reichtum, der sie ermöglicht hatte. Hier war einfach alles wundersam und reichhaltig geschmückt.
Die Säulen in der Halle waren nicht einfach nur Säulen; sie waren fein ziselierte Meisterwerke. Unmittelbar über den Fenstern hingen breite Banner von der Decke herab, und die hohe Kuppeldecke war von Kreuzrippen und Schlusssteinen übersät. Irgendwie wusste sie, dass jeder dieser Schlusssteine reich verziert war, auch wenn sie so weit entfernt waren, dass man es vom Boden aus nicht erkennen konnte.
Und die Tänzer entsprachen der auserlesenen Szenerie, ja sie übertrafen diese vielleicht sogar noch. Die Paare bewegten sich anmutig und mit scheinbar mühelosen Bewegungen im Takt der sanften Musik. Viele sprachen sogar miteinander, während sie tanzten. Die Damen schienen durch ihre Kleider nicht im Geringsten eingeengt zu sein. Viele dieser Gewänder ließen Vins eigenes matt und langweilig aussehen. Sazed hatte Recht gehabt: Langes Haar war offenbar in Mode, auch wenn viele Damen ihre Haare hochgesteckt hatten.
In der Umgebung dieses majestätischen Saales wirkten die fesch gekleideten Männer irgendwie anders. Vornehm. Waren das dieselben Kreaturen, die ihre Freunde schlugen und die Skaa versklavten? Sie schienen zu vollkommen und wohlerzogen für derart schreckliche Taten zu sein.
Ich frage mich, ob
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