Kinder Des Nebels
starb. Ich glaube, dieses Ungeheuer sieht dich jetzt als seine Meisterin an.«
Vin lief es kalt über den Rücken.
Dieses ... Ding hat Kelsiers Leichnam gefressen.
»Ich will es nicht in meiner Nähe haben«, sagte sie. »Ich werde es fortschicken.«
»Tut nichts Übereiltes, Herrin«, warnte Sazed. »Kandras sind teure Diener - Ihr müsst sie in Atium bezahlen. Falls Kelsier wirklich einen von ihnen unter Vertrag genommen hat, wäre es dumm, seine Dienste zu verschmähen. In den kommenden Monaten könnte sich ein Kandra als sehr nützlich erweisen.«
Vin schüttelte den Kopf. »Das ist mir egal. Ich will das Ding nicht um mich haben. Nicht nach dem, was es getan hat.«
Das Trio verstummte. Schließlich stand Marsch seufzend auf. »Wenn ihr mich jetzt bitte entschuldigen wollt, ich muss in der Festung erscheinen. Der neue König will, dass ich bei den Verhandlungen das Ministerium repräsentiere.«
Vin zog die Stirn kraus. »Ich verstehe nicht, warum das Ministerium überhaupt noch etwas zu sagen haben soll.«
»Die Obligatoren sind noch immer sehr mächtig, Herrin«, erklärte Sazed. »Überdies sind sie die fähigste und am besten ausgebildete Organisationsmacht im Letzten Reich. Seine Majestät wären gut beraten, wenn er sie auf seine Seite bringt, und Meister Marschs Teilnahme an den Verhandlungen mag dazu beitragen.«
Marsch zuckte die Achseln. »Vorausgesetzt natürlich, ich kann die Kontrolle über das Amt für Inquisition erlangen. Dann wird sich das Ministerium in den nächsten Jahren wandeln. Ich werde langsam und vorsichtig vorgehen, aber wenn ich fertig bin, werden die Obligatoren nicht einmal bemerken, was sie verloren haben. Allerdings könnten die anderen Inquisitoren Schwierigkeiten machen.«
Vin nickte. »Wie viele gibt es außerhalb von Luthadel?«
»Ich weiß es nicht«, gestand Marsch ein. »Ich war noch nicht lange genug Mitglied in diesem Orden, bevor ich ihn zerstört habe. Das Letzte Reich ist allerdings groß. Viele sagen, es gebe etwa zwanzig Inquisitoren im ganzen Land, aber ich habe nie jemanden auf eine genaue Zahl festnageln können.«
Vin nickte, und Marsch wandte sich zum Gehen. Auch wenn die Inquisitoren sicherlich sehr gefährlich waren, machte sie sich keine großen Sorgen mehr um sie, denn schließlich kannte Vin jetzt ihr Geheimnis. Sie sorgte sich um etwas anderes.
Ihr wisst nicht, was ich für die Menschheit tue. Ich war euer Gott, auch wenn ihr es nicht verstanden habt. Indem ihr mich tötet, verdammt ihr euch selbst ...
Das waren die letzten Worte des Obersten Herrschers gewesen. Vin hatte anfangs geglaubt, sie bezögen sich auf das Letzte Reich, das er für die Menschheit errichtet habe. Doch jetzt war sie nicht mehr so sicher. Bei diesen Worten hatte nicht Stolz, sondern Furcht in seinem Blick gelegen.
»Saze?«, fragte sie. »Was war der Dunkelgrund? Was war es, das der Held aus dem Tagebuch bekämpfen sollte?«
»Ich wünschte, wir wüssten es, Herrin«, gestand Sazed ein.
»Aber der Dunkelgrund hat die Welt nicht verschlungen, oder?«
»Anscheinend nicht«, sagte Sazed. »Die Legenden stimmen darin überein, dass die Welt vernichtet worden wäre, wenn der Dunkelgrund nicht aufgehalten worden wäre. Vielleicht sind diese Geschichten übertrieben. Vielleicht lag die Gefahr, die angeblich von diesem Dunkelgrund ausging, nur in dem Helden selbst. Möglicherweise hat er seinen Kampf bloß gegen sein eigenes Bewusstsein genährt. Er musste wählen, ob er die Welt unterjochen oder in Freiheit weiterleben lassen wollte.«
Das klang für Vin nicht überzeugend. Es steckte mehr dahinter. Sie erinnerte sich an die Angst in den Augen des Obersten Herrschers. An das Entsetzen.
Er sagte »tue« und nicht »getan habe«. »Was ich für die Menschheit tue.« Das bedeutet, dass er es die ganze Zeit hindurch getan hat, was immer es war.
Ihr verdammt euch selbst ...
Sie zitterte in der Abendluft. Die Sonne ging unter, und nun war die erleuchtete Festung Wager noch besser zu sehen. Elant hatte sie vorübergehend zu seinem Hauptquartier ausgewählt, auch wenn er später vielleicht nach Krediksheim ziehen würde. Noch hatte er keine Entscheidung darüber gefällt.
»Ihr solltet zu ihm gehen, Herrin«, sagte Sazed. »Er muss sehen, dass es Euch gutgeht.«
Darauf gab Vin nicht sofort eine Antwort. Sie schaute hinaus über die Stadt und beobachtete die erhellte Festung unter dem dunkler werdenden Himmel. »Wo warst du, Sazed? Hast du seine Worte gehört?«
»Ja, Herrin«,
Weitere Kostenlose Bücher