Kinder Des Nebels
ihn auf furchtbare Weise zu verlieren.« Kelsier zuckte die Achseln. »Aber was weiß ich schon? Ich bin nur ein reisender Bösewicht, der euch das Essen wegnimmt und eure Jugend zu beeindrucken versucht.«
Mennis schüttelte den Kopf. »Du machst Scherze darüber, aber Tepper könnte Recht haben. Ich fürchte, dein Besuch wird uns nichts als Kummer bringen.«
Kelsier lächelte. »Aus diesem Grunde habe ich ihm nicht widersprochen - wenigstens nicht, was die Schwierigkeiten angeht, die ich mache.« Er hielt inne, und sein Lächeln wurde breiter. »Ich würde sogar sagen, dass Teppers diesbezügliche Bemerkung das einzig Vernünftige ist, das er seit meiner Ankunft gesagt hat.«
»Wie machst du das?«
»Was?«
»So viel lächeln.«
»Ach, ich bin einfach nur ein glücklicher Mensch.«
Mennis schaute auf Kelsiers Hände. »Weißt du, solche Narben habe ich bisher nur an einem einzigen anderen Mann gesehen - und der ist schon tot. Sein Leichnam wurde an Graf Tresting zurückgeschickt als Beweis dafür, dass seine Bestrafung erfolgt war.« Mennis sah auf zu Kelsier. »Er wurde dabei erwischt, wie er von Rebellion sprach. Tresting hat ihn in die Gruben von Hathsin geschickt, wo er bis zu seinem Tod gearbeitet hat. Der Knabe hat weniger als einen Monat durchgehalten.«
Kelsier schaute herunter auf seine Hände und Unterarme. Manchmal brannten sie noch, aber er war sicher, dass der Schmerz nur in seinem Kopf existierte. Er schaute auf zu Mennis und lächelte. »Du fragst, warum ich lächle, Hausvater Mennis? Nun, der Oberste Herrscher glaubt, er hat alles Lachen und alle Freude allein für sich gepachtet. Ich habe nicht vor, ihm das zuzugestehen. Das ist wenigstens einmal eine Schlacht, die nicht so viele Mühen erfordert.«
Mennis starrte Kelsier an, und für einen Augenblick glaubte Kelsier, der alte Mann würde sein Lächeln erwidern. Doch schließlich schüttelte Mennis nur den Kopf. »Ich weiß nicht. Ich ...«
Das Brüllen schnitt ihm die Worte ab. Es kam von draußen, vielleicht aus nördlicher Richtung, auch wenn der Nebel alle Geräusche verzerrte. Die Leute in der Hütte verstummten und lauschten den schwachen, hohen Schreien. Trotz der Entfernung und des Nebels hörte Kelsier den Schmerz, der in diesen Schreien steckte.
Kelsier verbrannte Zinn.
Nach den vielen Jahren der Übung fiel es ihm leicht. Das Zinn befand sich zusammen mit den anderen allomantischen Metallen in seinem Magen. Er hatte sie bereits vor einiger Zeit geschluckt, und nun warteten sie darauf, dass er sie einsetzte. Mit seinem Geist griff er in sich hinein und tastete nach dem Zinn. Dadurch berührte er Mächte, die er immer noch kaum verstand. Das Zinn in ihm flackerte lebhaft auf und brannte in seinem Magen; es war ein Gefühl, als hätte er ein heißes Getränk zu schnell hinuntergestürzt.
Die allomantische Kraft brandete durch seinen Körper und schärfte Kelsiers Sinne. Der Raum um ihn herum wurde ganz deutlich sichtbar, und das schwache Feuer war nun beinahe blendend hell. Er spürte die Maserung des Holzschemels, auf dem er saß. Er schmeckte noch immer die Überreste des Brotlaibs, von dem er vor einiger Zeit gegessen hatte. Wichtiger noch, er hörte die Schreie mit übernatürlich scharfen Ohren. Zwei Frauen schrien; die eine war älter, die andere jünger, vielleicht sogar noch ein Kind. Die jüngeren Schreie entfernten sich immer mehr.
»Arme Jessi«, sagte eine Frau in seiner Nähe; ihre Worte dröhnten in Kelsiers überempfindlichem Gehör. »Dieses Kind war ein Fluch für sie. Es ist besser für eine Skaa, wenn sie keine schönen Töchter hat.«
Tepper nickte. »Es war klar, dass Graf Tresting früher oder später nach dem Mädchen rufen würde. Das haben wir alle gewusst. Auch Jessi.«
»Es ist trotzdem eine Schande«, sagte ein anderer Mann.
Aus der Ferne waren die Schreie weiterhin zu hören. Kelsier verbrannte noch mehr Zinn und vermochte nun die Richtung einzuschätzen. Die Stimme bewegte sich auf das Herrenhaus zu. Das Kreischen weckte etwas in ihm, und er spürte, wie sein Gesicht rot vor Wut wurde.
Kelsier drehte sich um. »Gibt Graf Tresting die Mädchen zurück, wenn er mit ihnen fertig ist?«
Der alte Mennis schüttelte den Kopf. »Graf Tresting ist ein gesetzesfürchtiger Edelmann. Er lässt die Mädchen nach ein paar Wochen umbringen. Schließlich will er nicht die Aufmerksamkeit der Inquisitoren auf sich ziehen.«
So lautete das Gesetz des Obersten Herrschers. Er konnte es sich nicht leisten,
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