Kinder des Wassermanns
adriatischen Küste landeinwärts begannen die Hügel, zu Bergen anzuwachsen. Dieser Rand der Svilaja Planina war auch die Grenze des Bezirks, der sich weiter hinauf in das richtige Hochland zog und für dessen Frieden der Zhupan Iwan Subitsch verantwortlich war. Doch seine Burg stand nicht nahe der Mitte des Landes, sondern bei Skradin, gar nicht weit von Schibenik. Das lag teils daran, daß das Dorf die größte Gemeinde in der Zhupe war, teils daran, daß er im Notfall schnell Hilfe aus der Stadt bekommen konnte. Im allgemeinen gab es jedoch wenig Gefahren; ein großer Teil des Landes bestand aus Wildnis, und die Einwohner waren friedlich. Das war in der Tat eine völlig andere Welt als die an der Küste mit ihren Schiffen und Städten und dem Blick auf den Westen. Hier hatte man die alten Sitten und die alten Dinge bewahrt.
Vater Tomislav schien sie zu verkörpern, als er durch Skradin wanderte. Er stapfte schneller einher, als man es bei einem so wohlbeleibten Mann erwartet hätte. Sein Eichenstock würde eine beängstigende Waffe abgeben, sollte er je angegriffen werden. Die Soutane, die er über staubigen alten Stiefeln hochgeschürzt hatte, war von gröbster Beiderwand, verblichen und gestopft. Der Rosenkranz, der ihm mit pendelndem Kruzifix von der Seite hing, hatte hölzerne, von einem Bauern geschnitzte Perlen. Auch sein Gesicht war bäuerlich, breit, rundnasig, wettergegerbt, mit kleinen, zwinkernden braunen Augen über hohen Wangenknochen. Sein graues Haar war schütter, aber ein mächtiger, angegrauter Bart wallte ihm über die Brust bis beinahe auf den Bauch. Seine Hände waren groß und schwielig.
Während er die Straße hinunterging, wurde er von vielen Leuten gegrüßt. Er antwortete mit dröhnender Stimme, außer wenn ein Kind so nahe an ihn heransprang, daß er ihm die Locken zausen konnte. Ein paar Bewohner riefen ihm Fragen zu. Hatte er etwas über die Fremden erfahren, waren sie gefährlich, hatte ihre Ankunft eine besondere Bedeutung? »Ihr werdet es zur rechten Zeit hören, zu Gottes rechter Zeit«, erwiderte er ihnen, ohne den Schritt anzuhalten. »Inzwischen fürchtet euch nicht. Wir haben wackere Heilige, die sich um uns kümmern.«
Vor der Burg teilte eine Schildwache ihm mit: »Der Zhupan hat gesagt, er wolle Euch in der Falkenkammer empfangen.« Tomislav niccte und hastete weiter über das Kopfsteinpflaster des Hofs in den Hauptturm. Diese Burg war eine kleine Festung, aus gelbbraunem Kalkstein erbaut, der vor mehr als hundert Jahren in einem nahe gelegenen Steinbruch gebrochen worden war. Sie hatte keine Glasfenster, keine richtigen Kamine und keinerlei modernen Komfort. Am Nordende konnte sie sich eines Wachturms rühmen, unter dessen Dach sich ein Raum befand, von dem aus die Männer weit über die Landschaft hinwegblicken konnten. Manchmal ließen sie von dort ihre Falken fliegen. Es war auch ein geeigneter Ort, um ungestört unter vier Augen zu reden.
Tomislav stieg bis nach oben und lehnte sich, während er noch pustete, hinaus und betrachtete den Ausblick. Unter ihm herrschte wie immer reges Leben. Diener, Handwerker, Hunde, Federvieh, Stimmen, Schritte, Klappern von Metall, Geruch nach Rauch und Dung und Brot im Backofen. Dahinter reiften die Getreidefelder der Ernte entgegen und wogten unter einer Brise, die ein paar weiße Wolken über den blauen Himmel segeln ließ. Vögel füllten die Lüfte, Tauben, Krähen, Drosseln und Lerchen. Am südlichen Horizont bildete der Urwald eine grüne Mauer, die von dem See nichts als einen Schimmer sehen ließ.
Tomislavs Blick wanderte den Krka entlang, der an Skradin vorbei-floß und in jenes Wasser mündete. Eine Meile außerhalb des Dorfes wuchsen ein paar Apfelbäume neben dem Fluß. Sie waren umzäunt, damit die Schweine die abgefallenen und die Jungen die noch angewachsenen Früchte nicht nahmen. Tomislav sah den Helm und die Lanzenspitze eines Reiters neben dem Zaun aufblitzen. Weitere Wachen umgaben den ganzen Obstgarten. Unter seinen Zweigen saßen die Fremden als Gefangene.
Schritte auf der Treppe veranlaßten den Priester, sich umzudrehen. Der Zhupan trat ein – ein hochgewachsener Mann mit zerklüfteten Zügen. Die Narbe eines Schwertstreichs verzerrte seinen Mund und zog sich über die linke Wange. Sein von Weiß durchschossenes schwarzes Haar war schulterlang, der Bart jedoch kurz gestutzt. Seine Tracht bestand wie üblich aus einer gestickten Bluse, in die Halbstiefel gesteckten Hosen und einem Dolch im Gürtel. Schmuck
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