Kinder des Wassermanns
Kinder ...«
Er starrte in seine Schale. »Sie ist leer«, verkündete er. »Eure auch. Ich will neues Bier vom Faß holen. Vor der Vesper haben wir noch Zeit.«
Als er zurückkehrte, bemerkte Vanimen vorsichtig: »Auch ich habe Kinder verloren.« Er setzte nicht hinzu, daß er sie auf ewig verloren hatte. »Ihr erwähntet ein Mädchen, das spät kam. Sagt mir doch, ist sie ebenfalls gestorben?«
»Ja.« Tomislav ließ sich auf die Bank plumpsen. »Sie war ein schönes Mädchen.«
»Was ist geschehen?«
»Niemand weiß es. Sie ertrank im See, wo sie spazierenging. Vielleicht stolperte sie, schlug mit dem Kopf an eine Wurzel. Dies eine Mal kann es nicht die Schuld des Vodianoi sein, denn nach vielen Tagen der Suche fanden wir ihren Körper auf dem Wasser treiben ...«
... aufgedunsen und stinkend, wie Vanimen wußte.
»Ich habe sie nicht bei ihrer Mutter und den anderen begraben lassen«, berichtete Tomislav. »Ich habe den Sarg nach Schibenik gebracht.«
»Warum?«
»Oh, ich dachte mir – oh, vielleicht würde die Erde ihr leichter wer-
den – ich war benommen, versteht Ihr. Der Zhupan half mir, daß ich die Erlaubnis bekam.«
Als wolle er Vanimen angreifen, rückte Tomislav nahe an ihn heran und fuhr fort: »Ich habe Euch gleich gesagt, es würde keine sehr interessante Geschichte werden. Außerdem habt Ihr noch eigenen Kummer zu überwinden.«
Vanimens Verstand arbeitete methodischer als bei den meisten Meerleuten, aber er konnte einen Gesprächsgegenstand oder eine Stimmung so schnell wechseln, wie es wünschenswert war. »Aye, ich sorge mich um meinen ganzen Stamm«, antwortete er. »Ich hätte gern mit Euch darüber gesprochen.«
»Ihr habt das mit Worten getan ...« – Tomislav versuchte zu lächeln – ,,... die beißend wurden.«
»Nur um mich zu beklagen, daß sie immer noch eingepfercht sind, und wie ich höre, hat man die Frauen und Kinder von den Männern getrennt.«
»Nun, ihr Benehmen
war
unschicklich. Das Gerede darüber wurde zu einer Bedrohung der öffentlichen Moral, behauptete Petar.«
»Wie lange soll das noch so weitergehen?« Vanimen schlug sich mit der Faust auf den Schenkel. »Immerzu sehe, fühle, höre, rieche, schmecke ich ihr Elend in der Unfreiheit.«
»Ich habe es Euch doch erklärt«, sagte Tomislav. »Der Ban hat entschieden, daß sie festgehalten und ordentlich versorgt werden sollen, bis er umfassende Informationen über sie hat. Ich glaube, dieser Zeitpunkt ist nahe. Ihr und ich, wir haben viel voneinander gelernt. Jetzt, wo Ihr die hrvatskanische Sprache beherrscht, könnt Ihr selbst mit ihm sprechen. Er wünscht sich das.«
Der Liri-König schüttelte den Kopf. »Wann? Ich habe erfahren, daß er vielbeschäftigt ist, im Reich herumreist, vielleicht Wochen hintereinander abwesend ist. Inzwischen ist jeder Tag für meine Leute eine stille Qual. Euer Baron glaubt vielleicht, daß er sie gut ernährt, aber mein eigener Magen sagt mir, daß die Nahrung aus zuviel Getreide und Milch und aus nicht genügend Fisch besteht. Sie werden krank werden – auch aus Mangel an Wasser. Zweifellos bekommen sie reichlich zu trinken, aber wann konnten sie das letzte Mal schwimmen, wann waren sie das letzte Mal auf dem Meeresgrund, eine Lebensweise, für die die Natur sie geschaffen hat? Ihr habt mir erlaubt, mich in dem Bach hier zu erfrischen, und trotzdem fühle ich, wie mein Fleisch langsam austrocknet.«
Tomislav nickte. »Ich weiß, Vanimen, mein Freund. Und was ich nicht weiß, kann ich erraten. Aber was können wir tun?«
»Ich habe darüber nachgedacht«, sagte der Wassermann, lebhafter als zuvor. »Ein kurzes Stück von hier entfernt ist ein See. Laßt uns dort frei. Natürlich zu einer bestimmten Zeit immer nur einen Teil von uns; die übrigen bleiben als Geiseln da und warten, bis sie an die Reihe kommen. Der See ist nicht so gut wie das Meer, aber er wird uns erhalten, er wird uns von einem Leben erlösen, das halber Tod ist.
Außerdem habe ich gehört, daß niemand in dem See fischt.
Wir
könnten und würden es tun. Wir würden gemeinsam ausschwärmen und reiche Beute machen und sie mit euch Menschen teilen. Damit wären die Kosten für unsere Unterhaltung mehr als wettgemacht. Würde das Eurem Baron nicht gefallen?«
Tomislav runzelte die Stirn. »Vielleicht, wenn der See nicht verflucht wäre.«
»Wie das?«
»Ein Vodianoi lauert dort, ein Wasserungeheuer. Er raubte die Netze aus, die die Fischer legten. Als sie ihn mit Booten voller Bewaffneter jagten,
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