Kinder des Wassermanns
einfachen Leuten, zu denen sie selbst gehört habe, bevor sie eine vorteilhafte Heirat machte.
Die Einwohner nahmen sie in einiger Verlegenheit auf, doch das legte sich bald. Sie war nicht hochmütig, sie sprach freundlich in ihrem komischen Dialekt und war immer zu Hilfe bereit, wo es not tat, sei es mit einem bißchen Geld oder ein paar Stunden Arbeit. Aber niemand lernte sie richtig kennen, und schließlich hörten die unverheirateten Männer auf, ihr den Hof zu machen. Sie besuchte ihre Nachbarn nicht und lud sie auch nicht öfter zu sich ein, als es ihr frommte, sie klatschte nicht und erzählte kaum etwas von ihrer Vergangenheit. Allein in ihrem Häuschen, tat sie die Arbeit in Küche und Garten selbst und ging auch auf dem Markt einkaufen. Jeden Tag, wenn das Wetter es erlaubte, wanderte sie Meilen am Strand entlang oder in den Wald. Das war kein solches Wagnis mehr, wie es dies früher gewesen war; der Königsfriede herrschte von neuem für eine Weile in dieser Gegend. Trotzdem hätte keine andere Frau es sich getraut. Als der Gemeindepriester ihr davon abriet, antwortete sie mit einem so traurigen Lächeln, wie er es noch nie gesehen hatte, daß ihr nichts mehr zu fürchten übriggeblieben sei.
Die Zeit verging. Rauhe Winde und peitschende Regen wichen Blüten, die Dorfbewohner pflügten und bestellten ihre Felder, Boote wurden zu Wasser gelassen. Die BiUten fielen ab, die Äpfel rundeten sich, in den Furchen sproß zartes Grün, der Wald füllte sich mit Vogelgesang. Auf Einar Brandsens Dach war seit langem ein altes Wagenrad befestigt, auf dem eine Storchenfamilie nistete, Sommer für Sommer. Man glaubte, daß sie jedem hier Glück brächten, und tatsächlich sahen die vorüberziehenden Monate Geburten, Konfirmationen, Heiraten, große Fischfänge, fröhliche Feste. Aber natürlich sahen sie auch Krankheit, Tod, Begräbnisse, und ein Ertrunkener wurde an seinem eigenen Strand angespült.
So verging die Zeit, wie sie es immer getan hatte, bis ein neuer Fremdling eintraf.
Er kam westwärts vom Sund her, wahrscheinlich aus Kopenhagen, denn sein Pferd war vom Besten und seine Kleider, wenn auch derb für die Reise, waren es ebenfalls. Er war sehr groß, schien jung zu sein und trug keinen Bart. Sein gelbes Haar hatte eine merkwürdige Unterwassertönung. Das ausländisch wirkende Gesicht war hohlwangig. Seine herrenhafte Haltung ließ es merkwürdig erscheinen, daß er keine Diener oder Leibwachen mitbrachte.
Es ging auf den Mittsommer zu, und die Sonne stand noch über dem Kattegat und warf eine Brücke aus geschmolzenem Gold über das Wasser. Im Osten jenseits des Kanals glühten ihre fast waagerechten Strahlen auf Wolken, die sich wie Berge über Skania auftürmten. Dessen Küste dämmerte blau am Rand des Horizonts. Sonst war der Himmel ganz klar, überall von Schwingen durchkreuzt. Weit draußen lagen still ein paar Schiffe, wie Spielzeuge, deren Segel ebenfalls das Licht einfingen. Das Klatschen einer sanften Brandung und das Schreien der Möwen waren beinahe die einzigen Laute, die durch die kühle Abendluft klangen. Seetang und Algen mischten ihre Gerüche in die der Felder und des Gemeindeangers zur Linken des Reiters, und der Wälder, die sich als dunkler Wald hinter ihnen erhoben.
Gänsejungen kreischten vor Begeisterung, als sie ihn entdeckten, und rannten auf den Weg. Ein bißchen steif fragte er sie, wie er Frau Ingeborgs Haus finden könne. Sein Dänisch war dem ihrigen ähnlich, aber doch nicht ganz das gleiche. Konnte er eine andere Art von Jute sein, oder war er ein richtiger Ausländer? Die Stimmen der Kinder klangen wie das Summen von Bienen, als er weiterritt.
Auf der Straße von Hornbaek war er gegen die Erwachsenen, die ihn grüßten, kaum gesprächiger. „Ich bin ein Freund, der nur für ihre Ohren bestimmte Nachrichten bringt. Morgen wird sie euch erzählen, was sie für richtig hält. Inzwischen laßt uns bitte allein.“
Landbewohner wie diese entsetzten sich nicht darüber, daß er und sie die Nacht zusammen verbringen würden. Einige kicherten, einige zeigten Neid, ein paar Klügere erkannten, daß es hier nicht um ein Abenteuer ging; das Benehmen des Fremden war alles andere als lüstern.
Ingeborgs Häuschen stand nahe dem Ende seiner Reihe, ein einfaches Bauwerk aus Holz, silbrig vor Alter, mit Moos in den Ritzen, einem niedrigen Strohdach voller Flechten und Wildblumen, mit Tauen gegen die Stürme aus dem Norden gesichert. Der Neuankömmling stieg ab, löste das
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