Kinder
die blauen Flecken geholt haben. Das sah schlimm aus,
damals.«
»Die Treppe runter?«, fragte Sybille Lahnstein und runzelte die
Stirn. »Ja, sicher, die Treppe«, nickte sie dann und machte sich einige
Notizen.
Rainer und Annette Pietsch sahen sich an: Was ging hier vor sich?
Stefan Mertes sah mit trübem Blick zum Fenster hinaus. Das
war kein guter Tag für ihn gewesen, und er hatte allen Grund, wie er fand,
diesen ganzen Mist mit Bier und Schnaps hinunterzuspülen.
Am Nachmittag hatte ihn sein Chef zu sich gerufen. Es ging um seine
jüngsten Ermittlungen und darum, dass er zu einem offiziell abgeschlossenen
Fall von anderen Dienststellen Unterlagen anforderte.
»Irgendwann muss Schluss sein, Mertes«, hatte Kriminaldirektor Klaus
Wagner gedonnert. »Ich weiß, dass Sie das Bild von dem toten Jungen am
Ziegenhorn nicht loslässt – das war für uns alle kein Zuckerschlecken. Aber unsere
Ermittlungen haben ergeben, dass es sich um einen tragischen Unfall oder meinetwegen
um einen Selbstmord gehandelt hat, nun sollte es auch mal gut sein. Sie können
hier nicht Ihre private Obsession während der Dienstzeit und im Namen der
Kriminalinspektion ausleben, haben Sie mich verstanden? Und dann gehen Sie auch
noch raus und reden mit den Eltern des Jungen – muss das wirklich sein, dass
Sie denen auch noch ihr bisschen Frieden rauben? Haben die es nicht schon
schwer genug?«
So war es eine Weile hin und her gegangen, und als dem Chef
schließlich klar wurde, dass Mertes den Absturz des Jungen mit den
Todesumständen anderer Cäcilienberg-Schüler in Verbindung brachte, war ihm der
Geduldsfaden gerissen und er hatte Mertes mit sofortiger Wirkung vom Dienst
beurlaubt.
»Sehen Sie zu, dass Sie Ihre Gefühle wieder auf die Reihe kriegen«, hatte
ihm der Chef noch nachgerufen, dann hatte die vom hinausstürmenden Mertes
zugeschlagene Tür dem Gespräch ein abruptes Ende gesetzt.
Nun stand er an seinem Fenster, leerte Flasche um Flasche und
schenkte sich zwischendurch ab und zu einen Schnaps nach. Das war kein guter
Tag gewesen – nicht für ihn, nicht für dieses Ehepaar aus dem Schwäbischen,
nicht für die toten Kinder und nicht für diejenigen, denen vielleicht noch
Gefahr drohte von Franz und Rosemarie Moeller.
»Machen wir es kurz, Herr Pietsch, Frau Pietsch«, sagte
Sybille Lahnstein und sah die beiden nacheinander direkt an. »Ihr Sohn Michael
hat Spuren von Hämatomen an Stellen, die für eine gewöhnliche Schlägerei nicht
gerade typisch sind.«
»Davon wissen wir nichts«, sagte Rainer Pietsch und sah die Frau
ungehalten an. Er hatte das ungute Gefühl, dass das Gespräch nicht zu ihren
Gunsten verlief – ein Gefühl, das er nur zu gut von dem Treffen mit den
Moellers und mit Rektor Wehling her kannte.
»Das wiederum ist typisch«, sagte Sybille Lahnstein in ziemlich
schnippischem Tonfall.
»Sybille, bitte!«, mischte sich ihr Kollege ein.
»Entschuldigung«, murmelte die Frau. »Aber ich will Ihnen gerne
erklären, welcher Verdacht sich mir aufdrängt, wenn ich den Bericht von Dr.
Romero lese.«
Sie stand auf.
»Ich werde Ihnen kurz demonstrieren …«
Sie sah Rainer Pietsch kurz an, setzte sich dann wieder.
»Mein Kollege wird Ihnen kurz demonstrieren, wo die Hämatome
festgestellt wurden, die uns Sorgen machen. Manfred, bist du so nett?«
Bremer stand auf, stellte sich breitbeinig hin und deutete auf
mehrere Stellen an der Innenseite seiner Oberschenkel.
»Hier, hier und hier wurden Spuren von Gewaltanwendung bei Ihrem
Sohn gefunden.«
Rainer Pietsch bekam allmählich eine Ahnung davon, was die beiden
andeuteten. Annette Pietsch dagegen schaute noch fragend.
»Und auch an seinem Glied beziehungsweise direkt daneben wurde
Michael wohl berührt – es wurden Quetschungen festgestellt, um genauer zu
sein.«
Annette Pietsch folgte Bremers Blick, der während der ganzen
Demonstration zu ihrem Mann hinsah. Rainer Pietschs Augen verengten sich zu
Schlitzen, er schien wütend zu werden.
»Diese Jugendlichen haben unseren Sohn auch … da unten verletzt?
Wollen Sie uns das damit sagen?«
Bremer schüttelte langsam den Kopf und ließ Rainer Pietsch nicht aus
den Augen.
»Diese Hämatome müssen ihm nicht zwingend beigebracht worden sein,
als ihn diese Jugendlichen verprügelten. Sie könnten auch schon vorher
entstanden sein.«
»Vorher? Wieso vorher?«
Allmählich begriff auch Annette Pietsch.
»Wollen Sie damit andeuten, dass …«
»Frau Lahnstein, das reicht!«, schnitt Rainer Pietsch
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