Kinder
erzählen, als dass er nicht gut gelaufen sei.
Dann tigerte er eine Weile nervös in der Wohnung auf und ab, bis ihn seine Frau
in den Garten schickte, wo er sich mit der Hacke am Unkraut abreagieren konnte.
Ab und zu hörte sie ihn fluchen, aber meistens hackte er ohne
Unterlass vor sich hin und arbeitete sich verbissen durch die Beete. Als er
endlich wieder ins Haus kam, war gerade noch Zeit, sich zu duschen und
umzuziehen. Dann saßen sie beide im Wohnzimmer, taten, als würden sie Zeitung
lesen, und warteten.
Carina begleitete Sarah noch bis zur Ecke, dann
verabschiedeten sich die beiden mit Küsschen links und Küsschen rechts.
»Ruf an, falls meine Eltern sich melden, ja?«
»Mach ich«, sagte Carina. »Bisher ist es ja jedes Mal gut gegangen.
Aber …« Sie sah Sarah an und lächelte. »Aber irgendwann solltest du es deinen
Eltern beichten, finde ich. Du bist doch kein Kind mehr, was sollten Sie
dagegen einwenden können?«
»Eltern sind komisch, das weißt du doch!«
»Ja, das weiß ich«, lachte Carina und gab ihr einen leichten Klaps
auf die Schulter. »Jetzt aber los, und mach was draus.«
»Bis morgen früh, am Spielplatz, wie immer, ja?«
»Ja, ja, jetzt hau schon ab!«
Sarah ging schnell über die Straße, Carina sah ihr noch nach, wie
sie Hendrik mit einem schüchternen Kuss begrüßte und die beiden eilig
weggingen.
Dann seufzte sie und machte sich ein bisschen neidisch auf den
Heimweg.
Als es klingelte, sprangen beide fast gleichzeitig auf.
Rainer Pietsch öffnete die Tür, seine Frau holte das Tablett mit den Häppchen
ins Esszimmer.
»Guten Tag, das ist mein Kollege Manfred Bremer, mein Name ist
Sybille Lahnstein«, stellte sich die Frau vom Jugendamt vor, und Rainer Pietsch
musste sich beherrschen, sie nicht mit offenem Mund anzustarren.
Die Mitarbeiter hatten sich in ihrem Schreiben namentlich
angemeldet, und er hatte insgeheim eine dürre Frau mittleren Alters mit streng
zurückgekämmtem Haar und Brille sowie einen spießig wirkenden Herren erwartet –
Klischees eben. Vor ihm standen jedoch ein drahtiger Mann Anfang vierzig mit
Jeans und Turnschuhen und eine sehr groß gewachsene, ziemlich aufreizend
gekleidete blonde Schönheit von höchstens Ende dreißig.
Als er mit den beiden Mitarbeitern des Jugendamts ins Zimmer kam,
schien Annette Pietsch nicht weniger verblüfft zu sein. Sie wechselte einen
kurzen Blick mit ihrem Mann, der Besuch entsprach wohl auch nicht ihren Klischeevorstellungen.
Sybille Lahnstein ließ sich auf dem Stuhl nieder, den Rainer Pietsch
ihr zurechtrückte, und beobachtete dabei ebenso aufmerksam wie unauffällig
alles, was um sie herum geschah. Während sich auch die anderen setzten, holte
sie einen Notizblock und einen Stift hervor.
»Frau Pietsch, Herr Pietsch«, begann sie und nickte beiden noch
einmal förmlich zu, »wir haben den Bericht von Dr. Romero bekommen. Er hat
Ihren Sohn Michael behandelt, nachdem dieser zusammengeschlagen wurde.«
»Ja, wir kennen Dr. Romero, und wir sind ihm auch sehr dankbar, dass
er sich so gut um Michael gekümmert hat«, sagte Rainer Pietsch.
»Ja?« Sie sah Rainer Pietsch kurz mit leicht hochgezogener
Augenbraue an, lächelte dann aber. »Nun, das freut mich.« Dann zog sie Romeros
Bericht aus der Akte und blätterte ein wenig darin.
»Es geht Ihrem Sohn wieder besser, hoffe ich?«
»Ja, viel besser. Er ist bis morgen bei den Großeltern.«
»Das ist gut«, nickte sie und überflog noch einmal einige Passagen
im Bericht des Arztes. »Wir haben hier die Beschreibung einer Vielzahl von
Verletzungen, die Dr. Romero an Ihrem Sohn festgestellt hat.«
»Schrecklich, nicht wahr?«, sagte Annette Pietsch.
»Ja, schrecklich. Allerdings …« Sie sah kurz zwischen Annette
Pietsch und ihrem Mann hin und her. »Nun … nicht alle Verletzungen, die Dr.
Romero feststellen konnte, stammen auch wirklich von diesem Überfall. Und bei
manchen war er sich nicht sicher.«
»Was meinen Sie damit?«
»Er hat auch Spuren älterer Hämatome gefunden.«
Annette Pietsch sah sie verständnislos an, und Sybille Lahnstein
verstand den Blick falsch.
»Hämatome sind Blutergüsse, blaue Flecken, sozusagen.«
»Ich weiß, was Hämatome sind. Aber ich weiß nicht, worauf Sie
hinauswollen.«
»Ihr Sohn Michael ist offenbar schon vor dem Überfall geschlagen
worden.«
»Ach das«, sagte Rainer Pietsch. »Er hatte mal Streit mit zwei
Klassenkameraden, und im Zuge dieser Rangelei ist er die Treppe runtergefallen.
Dabei wird er sich
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