Kinder
Mal zum Ziegenhorn hinauf. In Pelm ließ er den Wagen
vor dem Friedhof ausrollen, blieb noch kurz sitzen, dann stieg er aus und ging
zu Kai Wirschings Grab hinüber. Eine Weile blieb er dort stehen, wollte beten,
aber es fielen ihm keine passenden Worte ein, also schwieg er einfach und
starrte stumm auf die Erde. Dann wurde ihm kalt, und er kehrte zum Wagen
zurück. Er fuhr ein kleines Stück zurück, hielt an, machte den Motor wieder aus
und gab die Adresse zur 093er-Nummer in sein Navigationsgerät ein. Dann sah er
auf die Uhr. Die Nacht war schon fast vorüber, und hier in seinem bisherigen
Einsatzbereich konnte er wegen seiner Beurlaubung ohnehin nichts ausrichten. Er
griff nach hinten, wo seine Jacke auf der Rückbank lag, und sah nach, was sich
alles in der Innentasche befand: Scheckkarte, Ausweis, Führerschein, die
Brieftasche mit hundertfünfzig Euro – und der Tank
war voll.
Mertes ließ sich nach hinten sinken und schloss
die Augen. Sollte doch seine Müdigkeit entscheiden, was er nun tun würde. Er
wartete, und als er nach mehr als einer halben Stunde noch nicht eingeschlafen
war, rieb er sich die Augen, setzte sich wieder aufrecht hin und fuhr los.
Mit jedem Kilometer fühlte er sich besser.
Allmählich ließ die Wirkung des Alkohols nach, und die Tatsache, dass er sich
auf den Weg machte und den Fall, der ihm ohnehin keine Ruhe ließ, nun eben als
Privatmann anpackte, bescherte ihm ein gutes Gefühl. Er fuhr in
gleichbleibendem Tempo, und der Geländewagen hatte keine Mühe, ihm trotz des
großen Abstands zu folgen. Erst als sie sich Limburg näherten und die A3 auf
das Lahntal zuhielt, kam der Geländewagen zügig näher.
Erst kümmerte sich Mertes nicht um den Wagen, der
auf der zu dieser Zeit so gut wie unbefahrenen Autobahn hinter ihm fuhr, doch
dann schaltete der Fahrer des Geländewagens sein Fernlicht auffällig oft ein
und aus und Mertes musste sich die Hand vor die Augen halten, um noch die
Fahrbahn vor sich erkennen zu können. Schließlich beließ der Fahrer seine
Scheinwerfer durchgehend im Fernlichtmodus, und Mertes bremste mehrfach abrupt
ab, um den Wagen hinter sich zum Vorbeifahren zu bewegen. Schließlich scherte
der Geländewagen tatsächlich aus und wechselte dicht vor Mertes wieder auf die
rechte Spur. Dann bremste er ab und nötigte auch Mertes, langsamer zu werden – kurz darauf standen beide Autos am rechten Fahrbahnrand.
Mertes war stinksauer. Er hatte die
Warnblinkanlage eingeschaltet und den Motor abgestellt, nun wappnete er sich,
dem anderen ordentlich die Meinung zu sagen. Der Geländewagen rollte noch
einmal an und blieb etwa dreißig Meter vor Mertes wieder stehen, dann öffnete
sich die Fahrertür und ein Mann stieg aus. Er kam langsam auf Mertes zu und
schien sich nicht weiter daran zu stören, dass er genau im Lichtkegel des
Wagens lief. Als er an Mertes ’ Fahrertür angekommen
war, ließ Mertes die Scheibe herunterfahren.
» Sind Sie irre … ? « , begann er zornig, dann schnappte er nach Luft. Der Mann hatte
durchs Fenster an seinen Hals gegriffen und drückte nun mit der Handkante auf
Mertes ’ Luftröhre. Dann ein kurzer Hieb, Mertes
verdrehte die Augen und sackte nach vorn. Der Fremde öffnete die Fahrertür,
schob den leblosen Mertes zurück in seinen Sitz, löste den Sicherheitsgurt und
schlug das Lenkrad scharf nach rechts ein. Dann holte er Werkzeug aus dem
Geländewagen und machte sich an der Leitplanke zu schaffen. Schließlich kam er
zu Mertes ’ Wagen zurück, schaltete die
Warnblinkanlage aus, startete den Motor, stellte das rechte Bein aufs Gaspedal,
sodass der Motor im Leerlauf aufheulte, setzte das linke Bein von Mertes auf
die Kupplung, legte den ersten Gang ein, zog den Fuß dann wieder von der Kupplung
und sprang schnell einen Schritt zurück.
Ruckelnd setzte sich der Wagen in Bewegung, kurz
streifte das Auto noch an der Leitplanke entlang, dann durchbrach der Wagen die
Begrenzung an der präparierten Stelle, rollte über den Abgrund und kippte dann
hinunter, der Lahn entgegen, die rund fünfzig Meter unter dem Viadukt
entlangfloss.
Er sah noch dem stürzenden Wagen nach, bis er
unten im Wasser verschwand. Kurz fuhr er sich über seine Warze, dann stieg er
wieder in seinen Geländewagen, sah auf die Uhr und fuhr weiter. Bis er dem Chef
berichten konnte, dass Kommissar Mertes aus dem Anruf bei ihm keine
gefährlichen Schlüsse mehr ziehen konnte, würde es noch ein wenig dauern.
Kapitel acht
Rektor Wehling sah noch einmal auf die
Weitere Kostenlose Bücher