Kinder
Straße hinauf und hinunter, schlug den
Mantelkragen hoch und blickte zum bleischwer bewölkten Morgenhimmel hinauf. Als
ihr Blick wieder nach unten ging, bemerkte sie Christine Werkmann.
Erst wirkte sie verblüfft, dann entspannten sich ihre Gesichtszüge
wieder und Rosemarie Moeller stand einfach nur da und sah zu Christine Werkmann
herüber. Nach zwei, drei Minuten ging die Tür wieder auf und Franz Moeller trat
neben seine Frau. Er folgte ihrem Blick, sah ebenfalls eine Zeit lang zu der
Frau hinter dem Betonkasten. Erkannt hatte er sie sofort, seine Frau hatte ihm
das Bild auf den Rechner überspielt.
Der Betonkasten … Genau dort hatte Sören Karrer gehockt, und kurz
darauf hatte er versucht, sich das Leben zu nehmen. Franz Moeller gönnte sich
ein leichtes Lächeln. Er beugte sich leicht zu seiner Frau hin und murmelte ihr
etwas ins Ohr, ohne Christine Werkmann aus dem Blick zu lassen. Nun lächelte
auch Rosemarie Moeller leicht, sie nickte Christine Werkmann kurz zu, grinste
noch breiter – und dann gingen die beiden aufrecht und mit gleichmäßigen
Schritten davon.
Christine Werkmann dagegen stand noch am Betonkasten, als die
Moellers fast schon in der Schule angekommen waren. Irgendwann fiel ihr auf,
dass ein Mann im Regenmantel vor ihr stand und ihr ein Papiertaschentuch anbot.
Sie blinzelte ihn kurz irritiert an, dann nahm sie das Taschentuch und wischte
sich das Gesicht ab. Mit der Zunge leckte sie sich schniefend den letzten
salzigen Rest ihrer Tränen von den Lippen, dann murmelte sie eine Entschuldigung,
wandte sich um und stapfte wieder nach Hause.
Lukas fing Hypes Blick auf, als der sich suchend im
Schulhof umsah. Kurz wirkte Hype irritiert, dann trat Marius zu ihm. Die beiden
redeten kurz miteinander, und schließlich kamen sie zu Lukas herüber.
»Na, du Loser?«, sagte Marius, aber er wirkte angespannt und längst
nicht so cool wie sonst immer.
»Was ist?«, fragte Lukas. Er hatte beide Hände in den Taschen, die
linke umklammerte schon das Geld, das er seit Tagen für Marius bereithielt.
»Keine Angst, so ganz ohne deinen dicken Freund?«
Hype zuckte kurz zusammen, als er Marius so reden hörte, und er sah
erschrocken zu seinem Freund hin.
»Spar dir deine Sprüche«, brummte Lukas und sah Marius finster an.
»Und komm mir nicht blöd, sonst …«
»Sonst?«
Marius baute sich vor Lukas auf, als wolle er ihm gleich an den Kragen,
aber Lukas blieb stehen, sah Marius weiterhin finster an und hoffte, dass ihm
seine Angst nicht anzusehen war.
Nach ein, zwei Minuten trat Marius einen Schritt zurück, versuchte
ein hämisches Grinsen, das ihm aber völlig misslang.
»Mach bloß keinen Scheiß, du Opfer!«, zischte er Lukas noch zu, dann
wandte er sich ab und Hype trottete ihm hinterher.
Warum sie vor dem Zubettgehen noch einmal aus dem Fenster
gesehen hatte, konnte sie sich hinterher nicht mehr erklären, aber sie bereute
es sofort. Gegenüber stand die hagere Gestalt von Rosemarie Moeller und sah
starr zu ihrem Schlafzimmerfenster herauf. Christine Werkmann zuckte sofort
zurück und verbarg sich im Schatten des Vorhangs, aber sie war nicht sicher, ob
die Frau unten auf dem gegenüberliegenden Gehweg sie nicht doch entdeckt hatte.
Vorsichtig lugte sie noch einmal hinunter: Rosemarie Moeller stand
unbeweglich wie vorhin und sah unverwandt herauf zu ihr. Ein paar Minuten lang
sah sie hinunter und versuchte zu erkennen, ob in Rosemarie Moellers Augen
tatsächlich ein feuriges Licht glomm. Oder ob sich in ihren Pupillen nur das
Licht einer Straßenlaterne spiegelte. Oder ob sie sich alles nur einbildete,
weil sie diese Frau so sehr hasste.
Schließlich ging Christine Werkmann zurück in die Küche, holte sich
ein Wasserglas aus dem Schrank und schenkte sich noch einen Schluck aus der
angebrochenen Weinflasche ein.
Sören kam auf seinen nächtlichen Gängen durch die Stadt
immer wieder am Haus der Moellers vorbei, aber er machte einen großen Bogen um
den Betonkasten, auf dem er damals gesessen hatte, und war stets bedacht, dort
schnell wieder wegzukommen.
Diesmal hatte er sich irgendwann in einen der Strandkörbe gesetzt,
die das Bistro bei der alten Kaserne auf der Terrasse angekettet hatte. Er war
eingenickt, und als er wieder aufwachte, war es schon bald Zeit, nach Hause zu
gehen. Er machte sich auf den Weg. Da trat Franz Moeller aus seiner Haustür.
Kurz drückte sich Sören in eine Hofeinfahrt, und wie er vorsichtig um die Ecke
lugte, sah er Moeller zügig davongehen. Für die
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