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Kinder

Kinder

Titel: Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Seibold
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Aufzug
hinauf, neue Teilnehmer stiegen in den wenig vertrauenerweckenden Metallkäfig
und fuhren ruckelnd mit ihm nach unten.
    Der Rollstuhl stand ein Stück den Flur hinunter
an der Wand, und der alte Mann, der darin saß, beobachtete das Geschehen ruhig
und gelassen. Manchmal musste er sich beherrschen, um nicht spöttisch zu
lächeln – doch dafür nahmen die anderen diesen
Mummenschanz viel zu ernst.
    Er hatte es immer als lächerlich empfunden, sich
für die Zusammenkünfte des Inneren Zirkels, die jedesmal an einem anderen Ort
stattfanden, mit einer über den Kopf gezogenen Kutte zu maskieren, wie es seit
bald zwanzig Jahren bei ihnen Sitte war – ein Ritual,
das sie bis dahin nicht gebraucht hatten und seiner Meinung nach auch heute
nicht brauchten. Doch die anderen trugen ihre Kluft mit geradezu heiligem
Ernst, und weil auch seine Macht letztlich auf geschickter Inszenierung
beruhte, fügte er sich und ließ die anderen nun seit vielen Jahren mit größtenteils
verschatteten Gesichtern herumlaufen.
    Nur für sich selbst hatte er sich ausbedungen,
dass er seinen Kopf unbedeckt lassen durfte. Der Vorsitzende hatte sich für die
Treffen jeweils dieselbe mönchsartige Kutte wie die anderen anlegen lassen,
aber die Kapuze hing locker nach hinten über die Rückenlehne seines Rollstuhls.
Er hatte das mit seiner Sonderstellung begründet und pathetisch vom obersten
Lehrer gesprochen, der sich seinen Schülern stets offen und unverhüllt nähern
müsse – aber in Wirklichkeit wollte er nicht wirken
wie dieser gruselige und vergreiste Imperator aus » Krieg
der Sterne « , der immer so geheimnisvoll und halb irre
aus seiner Kapuzenkutte hervorgestarrt hatte.
    Als alle im einstigen Laborkomplex angekommen
waren, wendete er ohne ein Wort den Rollstuhl und arbeitete sich Tür für Tür
den Flur entlang. Nach jeder Tür, die er passierte, hielt er an und blieb eine
Zeit lang stehen. In seinem Rücken verharrte auch der Rest der seltsamen
Prozession, und wer in der Nähe einer der offenen Türen zum Stehen gekommen
war, wandte sich dem dahinterliegenden Raum zu, so gut er konnte, und murmelte
ein paar Sätze aus ihrem Methodenkatalog, den sie bei solchen Gelegenheiten
gerne als eine Art Glaubensbekenntnis aufsagten.
    Ganz hinten im Flur, wo hinter der nach links
führenden Tür das kleine Büro untergebracht war, rollte er den anderen voraus
nach rechts in einen größeren Raum. Hier war die Trennwand zwischen zwei Zellen
herausgebrochen worden, die zweite Tür zum Flur hinaus war zugemauert. Er
rollte bis zur hinteren Wand des Raumes und blieb dort mit dem Gesicht zur
Mauer stehen.
    Hinter sich hörte er, wie sich die Teilnehmer zu
einem Halbkreis gruppierten. In dem für alle Anwesenden recht engen Raum wurde
kein Wort gesprochen, ab und zu räusperte sich jemand leise, ansonsten waren
nur Schritte zu hören, und nach einigen Minuten auch die nicht mehr.
    Der Vorsitzende wartete noch kurz, dann wendete
er seinen Rollstuhl, und die Elektromotoren seines Gefährts klangen in der
drückenden Stille unnatürlich laut. Zufrieden ließ er seinen Blick über das
Halbrund seines Publikums schweifen. Trotz der Kapuzen, die viele der Gesichter
fast komplett in dunkle Schatten tauchten, wusste er bei jeder und jedem
Einzelnen, wen er vor sich hatte.
    Es waren natürlich vorwiegend im Schuldienst
aktive Lehrer, aber auch Prominente, die hier niemand vermutet hätte. Darunter
gefragte Experten von nationaler, Professoren von internationaler Berühmtheit – und einige, die inzwischen in unterschiedlichsten Medienberufen
erstaunliche Karrieren gemacht hatten.
    Rechts von ihm standen zwei Neue, flankiert von
Franz und Rosemarie Moeller – und immer, wenn solche
Gäste an Treffen des Inneren Zirkels teilnahmen, hatten die tief ins Gesicht
gezogenen Kapuzen natürlich durchaus ihren Sinn. Ihn selbst kannte niemand
außerhalb seiner Organisation – aber die wirklich
prominenten Teilnehmer wollten nicht riskieren, sich vor noch unsicheren
Kandidaten zu offenbaren. Sie hatten zu viel zu verlieren.
    Franz und Rosemarie Moeller hatten die beiden
Gäste über Wochen in Gesprächen auf dieses Treffen vorbereitet, und als er sich
zur ersten von drei Unterredungen mit den beiden traf, hatte er vorsichtig
angedeutet, was sie hier heute erwarten würde. Der eine, ein schwacher
Charakter, den sich Franz Moeller nützlich zu formen zutraute, war anfangs
etwas irritiert – der andere, ein plumper Mensch von
vermutlich eher beschränkter

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