Kinder
übertrieben, außerdem hatte sich Lukas wohl
irgendwo ein Magen-Darm-Virus eingefangen – nun war ihm übel, und das Erbrechen
wollte in der Nacht zum Montag gar kein Ende mehr nehmen. Annette Pietsch sah
morgens noch nach ihm, dann ging sie gegen halb neun als Letzte aus dem Haus, um
Dekomaterial und Cocktailzutaten zu kaufen.
Lukas verschlief den halben Vormittag, rannte dann zur Toilette,
musste sich diesmal doch nicht übergeben, trank ein Glas Sprudel und legte sich
wieder schlafen. Um die Mittagszeit setzte er sich zwar zu seiner Mutter an den
Tisch, aber mehr als heiße Brühe brachte er nicht herunter.
Danach schlich er wieder ins Bett, noch ziemlich schwach auf den
Beinen, aber wenigstens ohne Magenkrämpfe. Annette Pietsch hantierte derweil in
der Küche und probierte Cocktailrezepte aus.
Der Mann, der auf dem gegenüberliegenden Gehweg am Haus vorüberging
und dabei unauffällig das Haus der Familie Pietsch musterte, fiel keinem von
ihnen auf.
Jörg Zimmermann stand schon an der Straße, als Hannes
Strobel ihn abholte. Sie hatten sich verabredet, und im Lehrerzimmer hatte
Frido Hässler noch staunend die Augenbrauen gehoben, als er mitbekam, dass die
beiden ungleichen Kollegen miteinander essen gehen wollten.
Nun brauste Strobel mit seinem roten Flitzer zur Stadt hinaus, und
Zimmermann fläzte neben ihm auf dem Beifahrersitz und genoss den Klang des
knurrenden Motors. Ein Stück den Neckar hinauf bogen sie in den Hof eines
griechischen Restaurants ein, und als der Kellner zwei Stunden später
eisgekühlten Ouzo spendierte, war Zimmermann gerade mit seiner Erzählung fertig
geworden.
Strobel überlegte noch ein wenig, bestellte sich einen Mokka – aber
schließlich sagte er zu, den Kollegen zu seinem Treffen zu begleiten. Er hielt
Zimmermann zwar noch immer für einen Loser, aber insgeheim war er doch auch ein
wenig neidisch geworden, als er sah, dass Franz Moeller sich nicht mit ihm,
sondern mit Zimmermann unterhielt und ihm offenbar nützliche Ratschläge gab.
Klara Schulze saß auf der Holzbank, die sie sich im
Wohnzimmer vor das große Fenster gestellt hatte, und sah hinaus. Das Telefonat
lag nun schon eine Stunde zurück, und noch immer konnte sie es nicht fassen,
dass nach so langer Zeit endlich einmal wieder so etwas wie Hoffnung in ihr
aufkeimte. Vielleicht versprach sie sich ja zu viel von den Recherchen, die
dieses Ehepaar aus der Nähe von Stuttgart anstellte – aber sie hatte so lange
vergeblich dafür gekämpft, dass jemand den Lehrern des Internats genauer auf
die Finger sah, dass sie sich nur zu gerne an diesen Strohhalm klammerte.
Hinter dem Fenster lag ihr Garten, dahinter kamen Wiesen, bewaldete
Hänge und ganz hinten war auf einem der Hügel das Internat Cäcilienberg zu
sehen. Es lag trutzig unter einer dichten Wolkendecke, als würde es sich für
ein Gewitter wappnen.
Ja, dachte Klara Schulze, ein Gewitter, das wär’s. Ein reinigendes
Gewitter, das alles Unklare wegwäscht.
Annette Pietsch schlief auf der Couch, vor sich auf dem
Tisch die Unterlagen, die sie heute Abend hatten durchsprechen wollen. Rainer
Pietsch drückte die Haustür leise hinter sich zu, streifte die Schuhe ab,
hängte seine Jacke weg und stellte seine Aktentasche in den Flur.
Dann schlich er sich auf Socken zu seiner Frau und küsste sie sanft
auf die Nasenspitze.
»Hm?«
Annette Pietsch sah schläfrig zu ihm hoch, dann versuchte sie die
Uhrzeit am DVD -Recorder zu entziffern.
»Sorry, ist spät geworden«, sagte Rainer Pietsch und ließ sich neben
ihr aufs Sofa sinken.
»Du warst um diese Zeit noch im Büro?«
»Ja, ich sag doch, die spinnen gerade. Und du weißt ja, dass ich
jetzt mal eine Weile nichts riskieren sollte.«
Sie musterte ihn.
»Na ja«, grinste er dann, »wir sind hinterher schon noch kurz auf
ein Bierchen in die Bar ums Eck gegangen. Die Kollegen hatten sich da schon
verabredet, und als sie mich fragten, ob ich mitwill …« Er zuckte mit den
Schultern. »Ich muss zusehen, dass ich alles Mögliche aufschnappe – derzeit
schwirrt das Büro nur so vor Gerüchten.«
»Und das da?« Sie deutete mit vorwurfsvoller Miene auf die
Unterlagen, die auf dem Tisch lagen. »Ist das nicht wichtig?«
»Doch, es tut mir ja auch leid.«
Er nahm einige der Papiere, blätterte darin.
»Sollen wir noch oder bist du zu müde?«
Sie setzte sich auf, rieb sich die Augen.
»An die Arbeit. Ich bin ja schon fast wieder ausgeschlafen.«
Sie machten Listen, trugen Zahlen, Daten und Namen
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