Kinderseelen Verstehen
menschlichen Verhaltens davon geprägt, immer wieder in ein seelisches Gleichgewicht zu kommen, um für gegenwärtige Herausforderungen wahrnehmungsoffen und aktionsbereit zu sein. Steht jemand dagegen unter Belastungen und ist er gezwungen, sich mit aktuell bestehenden Sorgen, Ängsten oder Nöten zu beschäftigen, werden seine Konzentration und seine Aufnahmebereitschaft für neue Alltagsherausforderungen eingeschränkt sein. Dies kann zu weiteren Verhaltensfehlern führen, die neue Belastungen nach sich ziehen.
So gilt seit jeher:
Spannung führt zum Wunsch nach Entspannung: Der Mensch schimpft lautstark über Dinge, die ihn ärgern, oder er haut mit der Faust auf den Tisch, wenn ihm in einem Gespräch nicht zugehört wird. Regelmäßiger Sport sorgt für eine neue »Freiheit im Kopf« oder Konflikte werden angesprochen, damit Konfliktlösungen das weitere Zusammensein erträglich machen.
Angst sucht nach Möglichkeiten einer Angstentlastung: Kinder bitten darum, bei Dunkelheit das Licht im Zimmer anzulassen oder ins Bett der Eltern kommen zu dürfen, die Hand der Eltern zu suchen oder auf den Schoß zu klettern. Sie gehen großen Hunden aus dem Weg, indem sie die andere Straßenseite benutzen, oder bitten darum, dass sie gemeinsam mit einem Freund einen bestimmten Weg zurücklegen können.
Druck führt zur Suche nach Druckentlastungsmöglichkeiten: Kinder weigern sich beispielsweise vehement, Situationen oder Orte aufzusuchen, in denen sie sich restlos überfordert fühlen, oder weinen, wenn sie in bestimmten Situationen für sich keinen Ausweg sehen. Sie schreien lautstark andere Kinder an, wenn sie den Eindruck haben, dass sie sich »auf der Verliererstraße« befinden. Sie spucken auf andere, wenn sie in ihrer Verzweiflung keine andere Möglichkeit mehr entdecken, sich zur Wehr zu setzen, oder sitzen teilnahmslos (innerlich ausgestiegen) in einem Kreis anderer Menschen, um ihr Desinteresse deutlich zu machen.
Eindrücke suchen ihren Ausdruck: Menschen tanzen vor Freude, wenn sie etwas Besonderes sehr glücklich gemacht hat (Ausdruck: Motorik), erzählen unentwegt und in allen Facetten von ihren besonderen Erlebnissen (Ausdruck: Sprache), träumen von eindrucksvollen Erlebnissen aus der Vergangenheit oder Hoffnungen/Wünschen, die für sie sehr bedeutsam wären (Ausdruck: Traum), schreiben ihre vielfältigen Gedanken auf (Ausdruck: Schrift), drücken ihre Gefühle und Gedanken beim Malen eines Bildes aus (Ausdruck: Malen und Zeichnen) oder sitzen zurückgezogen in einem Raum, um ihre Gedanken zu ordnen (Ausdruck: Verhalten).
Immer geht es dem Einzelnen dabei um einen Befreiungswert, damit er in ein Gefühl der emotionalen Ausgeglichenheit zurückfindet.
Mit den folgenden Beispielen, die alle aus der Praxis kommen, soll nun versucht werden, kindliches Ausdrucksverhalten verständlich zu machen, damit mögliche Hintergründe (= Hauptursachen) und Veränderungsmöglichkeiten gefunden werden können, die dem Kind – und letztlich auch immer dem Erwachsenen – helfen, neue, entwicklungsförderliche Verhaltensweisen zu entdecken und alternative Handlungsschritte zu wagen.
Selbstverständlich können die nachfolgenden Beispiele nur verkürzt dargestellt werden, damit in diesem Buch möglichst viele Ausdrucksformen Platz finden. Gleichzeitig ist sich der Autor darüber im Klaren, dass die Beispiele keinen generellen und damit immer zutreffenden Bedeutungswert haben können. Allerdings zeigen die Beispiele einen »roten Faden«, der sich in der Praxis in außergewöhnlich vielen beobachteten und erlebten Situationen als zutreffend erwiesen hat. Um den Fokus (= die entscheidende Zielrichtung) herauszustellen, wurden alle weniger oder kaum bedeutsamen Zusammenhänge aus der Beispielsbeschreibung weggelassen.
Die Beispiele sind in fünf Ausdrucksformen unterteilt:
Essen
Sprechen und Sprache
Psychosomatik
Motorik/Körper
Verhalten
Essen
»Meine Suppe mag ich nicht« – Kinder, die nicht essen wollen
Marie, fünf Jahre alt, ist ein lebendiges, quirliges und intelligentes Mädchen. Sie besucht seit zwei Jahren den Kindergarten, und auf die Frage, wie es ihr dort gefalle, meint sie: »Na ja, manches Mal ist es ganz gut und interessant, manches Mal ist es dagegen überhaupt nicht prickelnd. Allerdings kann ich es mir ja nicht aussuchen. Papa und Mama müssen den Menschen, die kein ordentliches Zuhause haben, helfen, dass sie ein neues Haus beziehen können. Dann haben sie natürlich keine Zeit für mich. Allerdings
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