Kinderseelen Verstehen
aufzunehmen. (Die Großeltern väterlicherseits sind übrigens wahre Freunde von Marie. Opa macht viel Spaß mit Marie, treibt sich mit ihr viel im Wald herum und Oma kocht herrliche Speisen. Und bei ihr isst Marie alles und reichhaltig!)
Achtung: Essstörungen können immer auf Beziehungsstörungen zurückgeführt werden!
→ Praktische Hinweise
Die Eltern haben mit ihren perfektionistischen Erwartungen und Einstellungen sowie durch ihre nüchternen, stets vom Kopf gesteuerten Äußerungen, Spielhandlungen, Unternehmungen und Vorhaben ihrer Tochter Marie einen Lebenseindruck vermittelt, die Welt sei nur ein Ort der Arbeit, des Fleißes, des Geldverdienens und der richtigen Planung. Dadurch hat Marie nicht die Möglichkeit erhalten, auch die anderen Seiten des Lebens intensiver kennenzulernen: Ausgelassenheit, Unvernunft, Lockerheit, ungebremste Lebensfreude. Sobald sie diese Seelennahrung bekommt, wird sie sich auch von ihrem »spatzenhaften« Essverhalten lösen können, weil sie genau dieses Seelenfutter gerne in sich tragen möchte.
»Ich will aber noch mehr essen« – Kinder, die nicht satt werden
Jonas, fünf Jahre alt, wirkt auf den ersten Blick ausgeglichen und gemütlich. Vielleicht ergibt sich dieser Eindruck vor allem aus seinem »pummeligen« Äußeren. Jonas ist für sein Alter und seine Körpergröße als »dicklich« zu bezeichnen. Sportliche Aktivitäten mag er gar nicht. Am liebsten sitzt er am Tisch und betrachtet Bilderbücher, oder er genießt es, wenn Erwachsene ihm vorlesen. Zu Hause hält er sich viel (eher immer) in der Nähe seiner Mutter auf und im Kindergarten sucht er ständig die Nähe der Erzieherin, die er bittet, mit ihm »etwas Schönes zu spielen«. So zieht er Tischspiele wie »Mensch ärgere dich nicht« oder überschaubare Puzzles vor, bei denen er glaubt, sicher zu sein, gewinnen zu können. Risikospiele oder Spiele mit etwas komplizierteren Spielverläufen mag er nicht. Lieber zieht er sich zurück oder holt ein Bilderbuch vor, das er dann vorgelesen bekommen möchte.
Doch sein Hauptthema ist das Essen. Nicht nur, dass er zur Kindergartenzeit ein sehr reichliches Frühstück von zu Hause mitbringt und es am liebsten gleich nach seinem Eintreffen zu sich nehmen möchte. Bei der festgelegten Frühstückszeit fragt er andere Kinder zusätzlich, ob sie alles schaffen würden. Ansonsten könnten sie es ihm geben. Zur Mittagszeit sitzt Jonas als Erster am Tisch, nachdem er vorher schon viele Male in der Küche nachgefragt hat, was es denn gebe. Seine Teller füllt er sich ordentlich auf, so als gäbe es keine Möglichkeit, sich ein zweites Mal etwas aus den Schüsseln zu nehmen. Vor allem hat es ihm der Nachtisch angetan. Auf die große Speisemenge angesprochen meint die Mutter: »Unser Jonas hat auch schwere Knochen. Das liegt in unserer Familie.« Und der Vater ergänzt: »Ja, unser Jonas war noch nie ein Kostverächter.« Wenn im Kindergarten versucht wird, seine Essensmenge zu begrenzen, wird er unruhig und bettelt: »Ich hab doch noch so einen großen Hunger. Kann ich bitte noch was haben? In den Schüsseln ist doch noch genug drin.« Die Eltern sehen eher keine Notwendigkeit, die Speisemenge zu reduzieren. Beide sagen: »Wenn unser Junge das braucht, dann soll er es haben. Bei uns ist immer noch jeder satt geworden.«
→ Der entscheidende Ausschnitt aus dem biografischen Hintergrund
Jonas ist das jüngste von drei Kindern. Sein Bruder ist 17 Jahre alt und seine Schwester 14. Er ist der Nachzügler in der Familie und wird von seinen Eltern stark verwöhnt. Weniger mit materiellen Dingen – die kann sich die fleißige, bodenständige, ehrliche und freundliche Handwerkerfamilie nicht in gewünschtem Maße leisten – als vielmehr mit Zuwendung, großer Aufmerksamkeit und einem ständigen Entgegenkommen, was die häuslichen Wünsche aller Kinder betrifft. Möchte Jonas beispielsweise am Sonntag zu einem Fußballspiel, damit er »seine« Mannschaft in entsprechendem Fan-Outfit anfeuern kann, fahren seine Mutter oder sein Vater ihn dorthin. Wünschte er sich einen Hund, dann haben die Eltern viele Tierheime besucht, um endlich einen »treuen Freund« für ihren Sohn zu finden. Doch was immer wieder auffällig in der Familie ist: Beide Elternteile lassen ihren Sohn nicht los. Sie binden ihn sehr stark an sich, zumal es »ihr Kleiner « ist, dem es rundherum gut gehen soll.
→ Bedeutungswert
Wie schon im vorigen Beispiel erwähnt, stehen Speisen symbolisch für
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