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Kindersucher - Kriminalroman

Kindersucher - Kriminalroman

Titel: Kindersucher - Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grossman
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Anordnung«, hatte Kurt, sichtlich fasziniert von dem Fall, gesagt, »lässt auf eine hochgradig zwanghafte Persönlichkeit schließen, die sich zur Perfektion getrieben fühlt. Diese Art von Zwang, Dinge zu arrangieren, Ordnung zu schaffen, wird oft von dem Drang getrieben, ein angsteinflößendes inneres Chaos in Schach zu halten. Ich würde sagen, du hast da einen Fall mit einem sehr gestörten Individuum, falls du das noch nicht bemerkt haben solltest.«
    Natürlich war das Problem, dass dieses Individuum gar nicht mehr Kraus’ Fall war.
    Obwohl er anscheinend auch nicht so einfach davon lassen konnte.
    Schwarzer Kaffee ergoss sich dampfend aus der silbernen Tülle, als er sich eine weitere Tasse einschenkte.
    Der Kaffee war, wie alles hier, absurd überteuert, aber als er sich in dem legendären Café umsah, kam er zu dem Schluss, dass es auch seinen Preis wert war. Und sei es nur wegen desSpektakels. Während er den Kaffee in kleinen Schlucken trank, schmeckte er die bittere Süße auf seinen Lippen. Das Josty am Potsdamer Platz war der Treffpunkt im wild schlagenden Herzen dieser Metropole. Als echter Berliner fiel es ihm schwer, nicht wenigstens ein bisschen sündigen Stolz darüber zu empfinden, dass er sich hier so heimisch fühlte.
    Im Sommer war der angesagteste Platz die Terrasse. Geborgen in einem kleinen Birkenhain blickte man aus der Vogelperspektive auf Europas vielbefahrenste Kreuzung. Jetzt, nachdem die Kälte des Winters langsam herankroch, bot das Obergeschoss einen noch bequemeren Ausguck. An diesem Nachmittag war der mit einer goldfarbenen Blättertapete geschmückte Raum überfüllt von Leuten, die sich in Zeitungen vergruben oder bei einem vielschichtigen Baumkuchen, dem König der Kuchen, plauderten. Vicki würde sagen: Wie angeberisch die Leute aussehen, dachte Kraus. Er registrierte die modische Eleganz und das pfauenhaft gespreizte Gefieder rund um ihn herum: Männer mit breiten Revers, bunten Krawatten und juwelenbesetzten Manschettenknöpfen, das geölte Haar zu einem scharfen Scheitel gezogen. Frauen mit langen Perlenketten, jungenhaften Frisuren und kurzen Kleidern mit Seidenstrümpfen, die ihre Beine zeigten.
    Er konnte sich an eine Zeit in diesem Café erinnern, in der Frauen es nicht einmal gewagt hätten, auch nur einen Knöchel zu entblößen. Er war mit seinen Eltern hier gewesen, um die Jahrhundertwende zu feiern, als er fünf Jahre alt war. Seine Mutter war diese Treppe hinaufgeschritten und hatte dabei ihren Rock hochgehalten, und die Straußenfedern auf ihrem Hut hatten praktisch den Staub von der Decke gefegt. Sein Vater hatte weiße Handschuhe getragen, graue Gamaschen und einen Bowler, den er lässig schräg über einem Auge trug. Wie anders war Berlin damals gewesen. Das Kaiserreich. Alles war weit geregelter und rigider gewesen ... aber es hatte sich irgendwieauch sicherer angefühlt. Wenn es auch eine falsche Sicherheit gewesen war.
    Jetzt drehte sich Berlin wie ein wild gewordenes Karussell. Der Potsdamer Platz war immer noch das Zentrum, und das Café Josty war immer noch der Mittelpunkt des Zentrums. Aber alles raste in einem solchen Tempo vorbei, dass es sich manchmal anfühlte, als würde die Stadt gleich aus der Achse fliegen.
    Kraus’ Blick schweifte aus dem Fenster. Durch die Doppelscheiben konnte man die berühmte Kreuzung unterhalb des Cafés einsehen, mit all ihrem turbulenten Nachkriegswahnsinn ... und musste doch nichts hören. Es war fast wie ein Stummfilm. Ein futuristisches Epos. Hier liefen zwischen dem blitzenden Neon und den gigantischen Plakaten alle großen Hauptstraßen, die das Zentrum von Berlin mit seinen westlichen Vierteln verbanden, zusammen und bildeten einen künstlichen Strudel, der Fahrzeuge und Menschenmassen gleichermaßen aufsog, sie miteinander verwob und sie dann wieder ausspie. In seinem Mittelpunkt stand ein fünfseitiger, eiserner Turm mit der ersten elektrischen Ampel Europas. Er wirkte wie ein Wächter über dem Chaos. Ströme von Fahrrädern und lange, gelbe Straßenbahnen fegten darum herum, mit Werbung beklebte Doppeldeckerbusse fuhren vorbei. Menschen strömten aus dem Bahnhof Potsdamer Platz heraus oder hinein; es war eine der betriebsamsten Haltestellen Berlins. Direkt um die Ecke stand das gigantische Kaufhaus Wertheim mit seinem verglasten Atrium und dreiundachtzig Fahrstühlen. Und ein Stück weiter den Block hinunter erhob sich ein erstaunlicher neuer Büroturm aus Glas und Stahl, dessen geschwungene Front dem

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