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Kindersucher

Kindersucher

Titel: Kindersucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grossman
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an.
    »Vati, ich habe mich entschieden.«
    »Hast du das?«
    »Ja. Ich weiß jetzt, was ich zu Hanukkah haben möchte.«
    »Und was wäre das? Pass auf, dass du nicht alles voll krümelst.«
    »Ein Modellflugzeug, eine Fokker Dreidecker, wie der Rote Baron sie im Krieg geflogen hat.«
    Wenigstens ist er von dem Aquarium abgekommen, dachte Kraus. »Das halte ich für sehr klug, Erich. Es gibt im KaDeWe eine ganze Abteilung für Modellflugzeuge. Ganz sicher haben sie dort auch die Maschine des Roten Barons. Wir gehen Samstag hin, wenn ich mit der Arbeit fertig bin.«
    »Kann ich mitkommen?«, wollte der Kleine wissen.
    »Selbstverständlich, Stefan«, versicherte Kraus. Dann jedoch fiel ihm ein, dass er Samstag eigentlich vorgehabt hatte, ein bisschen in diesem grotesken »Liebeskult« herumzustochern, von dem Pfarrers Braunschweig ihm erzählt hatte. Konnten die Behauptungen des Pfarrers wirklich stimmen? Es kam ihm zu abartig vor. Selbst für Berlin. Aber er musste ständig an das denken, was Braunschweig noch gesagt hatte: »... und auch noch mit Kindern.« Was genau konnte das bedeuten? Er schreckte davor zurück, es sich genauer vorzustellen. Ganz gewiss hatte sich bei dem Priester die Grenze zwischen Fakten und Fiktion durch all den Schnaps verwischt. Aber er hatte Kraus eine Visitenkarte zugesteckt. Eine vollkommen verrückte Karte mit allen Arten von Pentagrammen und ägyptischen Symbolen darauf: MISSION DER GÖTTLICHEN STRAHLUNG, BLEIBTREUSTRASSE 143, CHARLOTTENBURG. Das Viertel war jedenfalls ziemlich vornehm. Aber zuerst kamen die Kinder. Die Frage war nur, welche Kinder? Seine eigenen oder diejenigen, deren Knochen von einem Verrückten gekocht worden waren, der immer noch frei herumlief? Was er eigentlich hätte tun sollen, war: die ganze Angelegenheit Freksa zu übergeben.
    Als das Telefon klingelte, zuckte er zusammen. So früh am Morgen?
    Es war Frau Dr. Riegler.
    »Tut mir leid, dass ich Sie nicht informiert habe, Kommissar.« Sie klang ein bisschen verlegen. »Wir haben es erst gestern verifiziert. Und außerdem, sagen wir ... die Politik hatte die Hände im Spiel.«
    Kraus wollte nicht wissen, was sie damit meinte. Ihn interessierte nur, wo sie die Bakterien gefunden hatten. »War es ein freier Händler?«
    »Wir geben eine Pressekonferenz um zehn. Thaer Straße 92. Centralviehhof. Sie sollten kommen.«

    Vom Bahnsteig der S-Bahn-Station aus konnte Kraus auf die außerirdisch wirkende Landschaft des Viehhofs hinabsehen, der auf der anderen Seite eines breiten Schienengeländes lag. Er war vollständig von einer hohen Ziegelmauer umgeben, die seinen eher unappetitlichen Anblick verbarg. Das riesige Gelände und die Markthallen mit ihren gläsernen Dächern, die makellos sauberen Viehhöfe, die hohen Rampen, die Tunnel und die ultraeffizienten Schlachthäuser gehörten zu Berlins Wundern der Ingenieurskunst. Das war bereits Kraus’ zweiter Ausflug hierher. Er konnte sich noch sehr lebhaft an seinen ersten vor einigen Wochen erinnern, eine wirklich großartige Besichtigungstour. Zwei Tage, nachdem er Strohmeyers Wurstwerke besucht hatte, hatte dieser Rundgang sein Bild von der Fleischindustrie der Hauptstadt abgerundet, vom lebenden Tier bis zum Würstchen.
    Der Direktor des Viehhofs, Gruber, hatte ihn höchstpersönlich in einem glänzenden Daimler am Bahnhof abgeholt, ihn seiner Bewunderung für die Kriminalpolizei versichert und ihm seine hoffnungslose Sucht nach Kriminalromanen gestanden. Es war eine gern verwendete Taktik, Kriminalbeamten, die auf dem Hinterhof im Dreck stocherten, zu schmeicheln, das wusste Kraus. Aber Gruber hatte wirklich ein bisschen dick aufgetragen. »Ihr Jungs vom Alex seid die Besten.« Er hatte Kraus die Hand geschüttelt, als wäre er ein Filmstar. »Und wir hier vom Viehhof sind auch nicht viel schlechter, wenn ich unser eigenes Loblied singen darf. Gesundes Fleisch ist heutzutage ebenso wenig Luxus wie Gesetz und Ordnung, meinen Sie nicht auch? Wir alle arbeiten für das Gemeinwohl.«
    Der massige Mann mit dem dünnen Schnurrbart sonderte Stolz auf seinen Beruf aus praktisch jeder Pore ab.
    »Vor 1882«, dozierte er, als sie über die Eldenaer Straße zum Eingang des Viehhofs chauffiert wurden, »konnte jeder in Berlin Tiere schlachten, wo immer er wollte. Das war, mit Verlaub, eine ziemliche Schweinerei. Dann wurde alles hierher verlegt, in eine von der Stadt kontrollierte Institution. Heute sind hier nahezu elfhundert Firmen ansässig, kleine und große, die nach

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