Kindersucher
unseren Regeln und unter unserer Aufsicht arbeiten und Räume anmieten. Ein für alle höchst vorteilhaftes Arrangement.«
Sie fuhren durch den Haupteingang. Die Straßen dahinter waren mit Lastwagen, Pferdefuhrwerken und Handkarren verstopft und wurden von adretten, tiefroten bis honiggelben Ziegelgebäuden im traditionellen norddeutschen Stil gesäumt. Gruber zeigte Kraus das Verwaltungszentrum, das Telegrafenbüro, die Archive, die Viehbörse und die Veterinärlabors. Es gab Restaurants, Cafeterien, Kaffeehäuser und Bierhallen. Dazu Geschäfte, die jegliche Art von Bedarfsartikeln verkauften, angefangen von Hackmessern und Haken bis zu hohen Gummistiefeln und Schürzen. Es gab sogar einen Kiosk von Loeser & Wolff, Berlins bekanntesten Tabakhändlern ... falls dem Herrn Kriminalsekretär nach einer Zigarre gelüstete?
»Auf einhundertzwanzig Morgen Land finden wir hier siebenundfünfzig Gebäude und fünfundzwanzig Kilometer gepflasterte Straßen. Fünftausend Menschen verdienen hier ihr täglich Brot. Der Viehhof selbst beschäftigt Tierärzte, Fleischinspektoren und Laboranten, wir haben sogar unsere eigene Feuerwehr.«
Auf der Ostseite des Marktes befanden sich die Viehhöfe und die Verkaufshallen. Im Westen lagen die Schlachthäuser und die Fabriken für die Schlachtnebenprodukte. Die beiden Komplexe waren durch eine Reihe von Tunneln miteinander verbunden, durch die man das Schlachtvieh von einer Halle in die andere treiben konnte. Es war Mittwoch, Markttag, deshalb schlug Gruber vor, dass sie kurz vorbeifuhren und sich ansahen, wie es funktionierte.
Der riesige Viehmarkt mit seinem gläsernen Dach war so gewaltig, dass Kraus kaum in der Lage war, das andere Ende zu sehen. Und es war so laut, dass er seine eigene Stimme nicht hören konnte. Endlose Reihen von Pferchen waren mit zahllosen Rinderrassen gefüllt, und eine ebenso große Anzahl von Männern mit Hüten und Staubmänteln schrien Gebote und Gegengebote. Gruber zeigte Kraus, wie die Makler der Schlachter den Blick, die Mäuler, sogar die Atmung der Tiere untersuchten, an denen sie interessiert waren. Eine gesunde Kuh hatte glänzende Augen, eine feuchte Nase und atmete leicht. Eine kranke hatte verkrustete Nüstern, trübe Augen und ließ die Zunge aus dem Maul hängen. Sowie man ein krankes Tier entdeckt hatte, wurde es in einen besonderen Quarantäne-Hof gebracht, geschlachtet, sterilisiert und an die Armen als Freibankfleisch verkauft. Gruber versicherte Kraus nachdrücklich, dass es nur sehr wenige kranke Tiere überhaupt bis zum Viehhof schafften.
Wie alle anderen Beteiligten an diesem Fall hatte der Direktor des Viehhofs versucht, Kraus davon zu überzeugen, dass es unmöglich auf seinem Terrain zum Ausbruch der Listeria gekommen sein konnte. Das war ein vollkommen verständlicher Impuls.
»Unsere Tiere kommen aus ganz Europa. Veterinäruntersuchungen und Fleischinspektionen sind ein unerlässlicher Bestandteil unserer Arbeit. Bevor irgendein Schlachtvieh jemals die Ställe erreicht, ganz zu schweigen die Fleischbörse, wird jedes Tier auf den Rampen untersucht. Kommen Sie, ich zeige es Ihnen.«
Er hatte Kraus zum Entladebahnhof mitgenommen, dem gewaltigen Bahnhof innerhalb des Viehhofs, der direkt mit der Ringbahn verbunden war, dem Gleissystem, das Berlin umgab. Hier teilten sich die Gleise und führten zu fünf Rampen. An jeder dieser Rampen konnte ein Frachtzug mit zwanzig Waggons entladen werden. In einer besonderen Desinfektionsanstalt befand sich eine Apparatur, die fünfzig leere Waggons pro Stunde reinigen konnte. Wenn sie funktionierte, wie sie sollte, lief dieser Prozess wie ein Uhrwerk, prahlte Gruber.
Bei dem schrillen Ton einer Dampfpfeife drehten beide gleichzeitig den Kopf herum. Eine riesige, schwarze Lokomotive fuhr gerade mit ihrer Fracht herein.
»Ich würde gern behaupten, ich hätte das für Sie engagiert, Herr Kriminalsekretär. Aber diese Transporte kommen mit großer Regelmäßigkeit herein. Jetzt können Sie das ganze Schauspiel in Ruhe verfolgen.«
Ein Zug mit zwanzig hölzernen Waggons rumpelte heran. Er kam, wie Kraus an einem Schild sah, aus einer Stadt in Polen. Die Reise, erklärte Gruber, hatte elf Stunden gedauert. Ohrenbetäubendes Kreischen ertönte, als die Bremsen den Zug zum Stillstand brachten. Der Zugführer sprang von der Lokomotive und blickte an dem Zug entlang. Als Helfer an jedem einzelnen Waggon bereitstanden, blies er in eine Pfeife. Gleichzeitig flogen die zwanzig versiegelten Türen
Weitere Kostenlose Bücher