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Kindersucher

Kindersucher

Titel: Kindersucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grossman
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geleitet?«
    Gruber schien diese Frage höchst befremdlich zu finden. »In die Kanalisation natürlich.« Er strich über seinen Schnurrbart. »Kommen Sie, ich zeige Ihnen einen unserer interessantesten Bereiche: das Areal mit den Nebenprodukten.«
    Hinter einer Kurve, im südlichen Teil des Viehhofs, befanden sich Dutzende von Betrieben, die sich darauf spezialisiert hatten, die Teile weiterzuverarbeiten, die kein Fleisch waren. Alles außer den Exkrementen, hatte Gruber ihm versichert, wurde gesammelt und verwertet. Mägen, Lungen, Milz, Nieren, Leber, Hirn, Fettgewebe, Hufe, Häute, Borsten, Drüsen ...
    »Wir haben hier eine ganze Straße mit Firmen, die sich darauf spezialisiert haben, Kutteln zu säubern, die dann als Wursthäute weiterverwendet werden. Sie sind notwendig für die Herstellung von Wurst und Würstchen, was Sie ja zweifellos bereits bei Ihrem Besuch bei Strohmeyer gesehen haben. Da drüben ist die Talgschmelze, ein ganzer Häuserblock mit kleinen Betrieben, in denen den ganzen Tag Fett zu Talg geschmolzen wird. Das wird zum Beispiel für Kerzen benutzt.«
    Der Gestank war bemerkenswert. Der schwere, ölige Rauch, der aus einigen dieser Betriebe drang, war so ziemlich das Widerlichste, das Kraus jemals gerochen hatte. Trotz seiner Erfahrungen auf dem Schlachtfeld.
    »In dieser Straße liegen die Häutesalzereien, wo die Häute zu Leder verarbeitet werden. Und in dieser kleinen Gasse hier haben sich Firmen angesiedelt, die Borsten für die Bürstenindustrie sterilisieren. Das besonders würzige Aroma, das Sie zweifellos bemerkt haben, kommt von da drüben, den Leimfabriken. Ein bisschen weiter hinten wird Blut verarbeitet, und dahinter arbeiten die Knochenkocher.«
    Knochenkocher? Bei diesem Wort durchlief Kraus erneut ein Kribbeln.
    »Kommen Sie, Kommissar, spielen Sie nicht den Überraschten. Die Nutzung von Knochenfett ist so alt wie die Zivilisation. Die Butter des armen Mannes. Seien Sie dankbar, wenn Sie es niemals verwenden mussten. Viele Menschen in dieser Stadt müssen sich aber damit behelfen. Und das Knochenmark, na ja, das muss ich Ihnen wohl nicht erzählen ... Einfach köstlich zum Beispiel mit Schalotten und Wildpilzen, gegrillt mit Kräutern oder als Aufstrich auf Toast.« Jetzt, bei seinem zweiten Besuch, erwartete ihn kein Empfangskomitee.
    Kraus musste in dem kalten Wind allein über die lange Brücke über die Gleise von der S-Bahn-Station gehen. Der graue Himmel über seinem Kopf war bereits mit dem Rauch aus den Schornsteinen der Schlachthäuser besudelt. Wenigstens, dachte er, ist die Quelle der Bakterien gefunden worden. Fünfzehn Tote. Eintausendfünfhundert Erkrankte. Ganz bestimmt würden Köpfe rollen.
    Als er jedoch durch die Tore des Viehhofs trat, ging ihm nicht Listerien durch den Kopf, sondern Abflussrohre und Knochenkocher. Konnte es eine Beziehung zwischen diesem Ort hier und jenem Jutesack geben? Die Baustelle, wo der Sack hochgespült worden war, lag nicht einmal anderthalb Kilometer von hier entfernt.
    Die Pressekonferenz wurde in der Viehbörse abgehalten, und zwar im Speisesaal im ersten Stock, einer gigantischen, feudalistisch wirkenden Halle mit gotischen Gewölben und Strebebögen. Jetzt drängten sich dort Hunderte von Reportern. Kraus erkannte etliche, die ihn interviewt hatten, als er noch an richtigen Mordfällen gearbeitet hatte; Lauterbach von der Morgenpost, Wörner von der Abendzeitung. Auf einem Podest an der Stirnseite saß der zehnköpfige Vorstand des Viehhofs der Menge gegenüber. Die massige Gestalt von Herrn Direktor Gruber war nicht zu übersehen. Schließlich beugte sich der Chef des Centralviehhofs zum Mikrofon und sprach ebenso geschraubt wie an dem Tag, als er Kraus in seinem Daimler herumkutschiert hatte.
    »Ich wünsche Ihnen allen einen guten Morgen. Danke, dass Sie gekommen sind. Es ist ein ausgesprochen erfreulicher Anlass. Wir können endlich und voller Zuversicht verkünden, dass diese schwierige Zeit, dieser stadtweite Alptraum, vorbei ist. Unsere Fleischversorgung ist wieder sicher. Danken wir Gott dafür.« Er senkte seinen riesigen Schädel wie zur Andacht, hob ihn nach ein paar Sekunden wieder und strich sich über seinen Schnurrbart. »Nach der Pressekonferenz wird der Vorstand bei einem Imbiss aus frischen Würstchen und Bier feiern. Wir möchten Sie alle dazu herzlich einladen.«
    Keine Entschuldigung? wunderte sich Kraus. Kein Schuldeingeständnis?
    »Und jetzt möchte ich Ihnen die Vorsitzende des

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