Kindersucher
richtig erfasst hatte. Sie wurden nicht als vermisst gemeldet, weil niemand sie vermisste. Es mussten also Straßenkinder sein, an denen es Berlin wahrlich nicht mangelte. Und durch die Finanzkrise würden es zweifellos noch mehr werden. Ob Freksa diese Spur verfolgte, wusste Kraus nicht. Außerdem hatte er nur wenig Zeit, es herauszufinden, weil er immer noch alle Hände voll mit Listeria zu tun hatte. Kommissar Horthstaler hatte Wind davon bekommen, dass Kraus Freksa einen Rat wegen des Überlaufkanals gegeben hatte, und das gefiel ihm ganz und gar nicht.
»Ich habe Ihnen bereits einmal eingeschärft, Ihre große Nase nicht in diesen Fall zu stecken, Kraus. Eine zweite Warnung wird es nicht geben.«
Obwohl Kraus seinen Bericht bereits angefangen hatte, würde es schwierig werden, ihn ohne die Hilfe von Dr. Riegler abzuschließen, aber er schien sie einfach nirgendwo auftreiben zu können. Er rief sie stündlich an, bekam jedoch keine Antwort. Heilbutt nahm ebenfalls nicht ab. Kraus ging mehrmals zum Ministerium, hatte dort jedoch ebenfalls kein Glück. Nachdem er dieses Spiel tagelang gespielt hatte, verlor er die Geduld und stürmte in das Büro von Rieglers Vorgesetztem, Dr. Knapp. Er verlangte zu wissen, wohin Riegler und Heilbutt verschwunden waren. Die Antwort war ziemlich erschütternd. Riegler sei in ein Krankenhaus eingeliefert worden, wurde ihm bedeutet. Knapp hatte keine Ahnung, in welches. Aber er hatte vor ein paar Tagen einen Anruf von ihr bekommen. Sie hatte ziemlich krank geklungen, und er wollte ihr keinen Druck machen. Seitdem hatte er nichts mehr von ihr gehört. Und was Herrn Heilbutt anging, der war am 31. Dezember in Pension gegangen. Gab es noch etwas, womit er, Dr. Knapp, dem Herrn Kriminalsekretär behilflich sein könnte?
Kraus war zu verdutzt, um zu antworten.
Als er das Ministerium verließ, setzte er seinen Hut auf und warf einen Blick über die Wilhelmstraße. Die Granitgebäude der Ministerien waren aufgereiht wie bei einer Parade. Das Außenministerium. Das Finanzministerium. Die Reichskanzlei. Der Präsidialkanzlei. Es ergab keinen Sinn. Knapp wusste nicht einmal, in welchem Krankenhaus Riegler lag oder warum.
Irgendetwas stank hier zum Himmel.
Am liebsten hätte er die Sache einfach vergessen, einfach nur diesen verdammten Bericht geschrieben so gut er konnte und anschließend seine Hände in Unschuld gewaschen. Schließlich hatte er diesen Fall ja von vornherein gar nicht haben wollen. Und in Rieglers Bericht hatte sie empfohlen, keine Anklage zu erheben. Er konnte einfach ihren Vorschlag befolgen. Oder eben auch nicht. Also musste er die Frau Doktor finden.
Die Toten verlangten es.
Von seinem Büro aus rief er jedes Krankenhaus in Berlin an. Riegler war in keinem aufgenommen worden. Heilbutt hatte recht gehabt, das begriff Kraus, während er mit seinem Stuhl wippte. Irgendetwas stank hier wirklich ganz entschieden zum Himmel. Und sein Verdacht wegen Rieglers Tick war gerechtfertigt gewesen. Dieses Zucken wollte ihm irgendetwas sagen. Nur was?
Gleich als Erstes am nächsten Morgen ging er wieder ins Ministerium, hinauf ins Büro und verlangte die Herausgabe der Berichte, welche das Vorhandensein von Listeria in Schlachthaus sieben bewiesen. Der Angestellte kam eine halbe Stunde später zurück und behauptete, sie seien nicht mehr da.
»Das ist lächerlich!« Kraus musste sich beherrschen. »Sie wurden erst vor zwei Wochen erstellt. Das hier ist eine Ermittlung in einem Kapitalverbrechen.«
Der Angestellte forderte Kraus auf, doch selbst nachzusehen.
Die Laborberichte waren tatsächlich verschwunden.
Kraus stürmte nach unten, um Knapp zu zwingen, die Wahrheit zu sagen, und erfuhr, dass der nicht zur Arbeit gekommen war. Seine Sekretärin weigerte sich, selbst als Kraus ihr mit Arrest drohte, ihm die Privatadresse von Dr. Riegler herauszugeben. Kraus war genau in der richtigen Stimmung dafür, die Frau zum Alex zu zerren, als ihm ein Gespräch einfiel, dass er mit Riegler während des Wurstverbots geführt hatte ... Sie hatte gesagt, wie sehr ihre Katze ihre Lieblingswurst vermisste, die sie immer bei Schlesinger in der Kantstraße kaufte, direkt um die Ecke, wo sie wohnte.
Kraus ließ die Sekretärin, wo sie war, und eilte dorthin.
Die Angestellten bei Schlesinger wussten sehr genau, von wem er sprach, und kannten auch Rieglers genaue Adresse, da sich die freundliche Frau Doktor häufig Essen nach Hause liefern ließ. Ihre Wohnung lag in einem vornehmen Gebäude mit
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