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Kindersucher

Kindersucher

Titel: Kindersucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grossman
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Schreibtisch beschäftigt zu sein, dass er sich nicht einmal die Zeit nahm, hochzublicken. »Eine gewagte Behauptung. Haben Sie Beweise, Kraus?«
    Genau das war das Problem, Kraus hatte keine.
    Heilbutt hatte ihm unmittelbar, bevor das Schiff ablegte, noch zugerufen, dass die Laborberichte zusammen mit dem Rest der Listeria- Unterlagen verschwunden seien. Kraus versuchte, das seinem Vorgesetzten zu erklären, aber der bemühte sich nicht einmal, Interesse auch nur zu heucheln.
    Vor zwei Jahren war Kraus ohne Ersuchen des Kommissars in dessen Abteilung versetzt worden, und Horthstaler hatte sich nie die Mühe gemacht, seine Abneigung gegen Kraus zu verbergen. Normalerweise machte er das, indem er sich Kraus gegenüber vollkommen gleichgültig verhielt. So wie jetzt zum Beispiel, als er keine Sekunde lang aufhörte, etwas zu kritzeln, auszuradieren oder an seinem Bleistift zu lecken. Gelegentlich äußerte sich diese Abneigung auch in offener Feindseligkeit, wenn er zum Beispiel bei den wöchentlichen Mittagessen in die demütigenden Witze der Kollegen einstimmte. Trotzdem konnte er nicht umhin, Kraus’ Fähigkeiten oder dessen nicht gerade geringen Erfolge zur Kenntnis zu nehmen.
    »Na gut, wenigstens lassen Sie diesmal Ihre große Nase da, wo sie hingehört. Ach ... um Himmels willen, tun Sie einfach, was Sie für nötig halten, Kraus. Hauptsache, Sie halten mich auf dem Laufenden.«
    In gewisser Weise hatte Kraus Horthstalers Verachtung zu schätzen gelernt. Es hatte gewisse Vorteile, wenn man ein Aussätziger war. Horthstaler verschwendete keine Zeit mit ihm und klärte auch den Rest der Abteilung nicht über Kraus’ Fälle auf, wie er es bei den anderen tat. Deshalb hatte Kraus viel Spielraum und konnte arbeiten, ohne dass jemand ihm über die Schulter sah. So funktionierte er am besten. Das hatte er damals, hinter den feindlichen Linien, mehr als einmal machen müssen. Andererseits erschwerte es seine Lage erheblich, wenn er alleine arbeitete. Und in diesem Fall war die Laufarbeit fast nicht zu schaffen. Außerdem konnte es nie schaden, Unterstützung zu haben.
    »Übrigens, wie sieht es mit einem Assistenten aus ...?«
    »Ich arbeite immer noch daran, Kraus. Ich gebe mir Mühe. Ich habe bereits ein halbes Dutzend Kollegen befragt. Tja, bedauerlicherweise ... sobald sie erfahren, dass Sie ein Jude sind ...«
    »Vielleicht muss der Herr Kommissar das ja nicht betonen?«
    Jetzt blickte Horthstaler hoch. Menschenfleisch in der Wurst schien ihn nicht zu irritieren, diese Bemerkung dagegen ging ihm offenbar nahe.
    Er warf den Bleistift auf den Tisch und starrte Kraus scheinbar aufrichtig enttäuscht an. »Das ist doch wohl nicht Ihr Ernst. Wie kann man jemanden denn so etwas Schreckliches antun, Kraus?«

    In dem Geschäft neben Aschinger, im Schaufenster des Pelze-Salons, drapierte eine Verkäuferin liebevoll eine Fuchsstola um die Schultern einer Schaufensterpuppe. Kraus’ zehnter Hochzeitstag stand bevor. Was sollte er Vicki schenken? Die Knopfaugen des Fuchses schienen ihn anzustarren, während er in das Schaufenster blickte und sich vorzustellen versuchte, wie die Pelze an seiner Frau aussehen würden. Schwarzer Nerz? Russischer Zobel?
    Kraus wusste sehr genau, dass er Heilbutts Geständnis dem Gesundheitsministerium hätte melden sollen. Aber er hatte es nicht getan. Wenn sich die Regierung einmischte, würde die Fleischindustrie davon Wind bekommen, und er legte keinen Wert auf mitternächtliche Anrufe von irgendwelchen »Freunden«, die ihm rieten, Deutschland zu verlassen. Es war vorteilhafter, diese Angelegenheit alleine zu erledigen.
    Luchs? Chinchilla? Nichts schien für Vicki das Richtige zu sein.
    Und normalerweise vertraute Kraus seinem Urteilsvermögen.
    Selbst nach all den Wochen bedauerte er nicht, dass er davon Abstand genommen hatte, eine Mordanklage im Listeria -Fall anzustrengen. Dr. Riegler mochte vielleicht ihrem schlechten Gewissen erlegen sein, aber das bereitete ihm keine Kopfschmerzen. Theoretisch hätte man Strohmeyer anklagen können, weil es in seiner Firma versäumt worden war, die erworbenen Produkte zu überprüfen, aber man hatte dort keine Gesetze gebrochen. Die Mitarbeiter hatten nur gegen ihre eigene Sicherheitspolitik verstoßen. Außerdem hatte die Firma dichtgemacht, so wie er es vorhergesehen hatte; der Wurstkönig und seine Familie hatten sich nach Paraguay abgesetzt.
    Kraus gab seine Suche nach einem passenden Pelz auf und nutzte stattdessen die spiegelnde

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