Kindersucher
Schaufensterscheibe des Pelze-Salons, um seine Krawatte zu richten. Im Krieg hatte er auf die harte Tour lernen müssen, dass man sich seine Feinde klug aussuchen musste, sonst riskierte man, sich aufzureiben. Er schob mit dem Finger den Hut ein wenig schief und ging weiter. Die Fleischindustrie zu bekämpfen war den Aufwand nicht wert, ganz gleich, wie er es anfangen würde. Gewiss, sie hatten das Ministerium unter Druck gesetzt, damit die eine Geschichte erfanden, um die Öffentlichkeit in dem Glauben zu wiegen, die Wurst wäre wieder ungefährlich. Doch als sie das getan hatten, war die Wurst ja tatsächlich nicht mehr giftig gewesen. Also, welchen Nutzen hätte es gehabt, gegen sie zu kämpfen?
Vor sich sah Kraus das Werbeschild von Zwilling J. A. Henckel. DIE BESTEN MESSER DER WELT.
Andererseits musste diesem Unhold, der sein Unwesen mit Menschenfleisch trieb, das Handwerk gelegt werden.
Und Kraus war mehr als zuvor davon überzeugt, dass es dieselbe Person war, die auch diese Knochenarrangements gemacht hatte.
Die beiden Fälle waren in Wirklichkeit ein und derselbe.
Zerstreut starrte er in die funkelnden Auslagen im Fenster von Henckel, die langsam auf Ständern rotierten. Er überlegte zum tausendsten Mal, wie sehr alle Fakten auf den Viehhof wiesen. Die gekochten Knochen. Der Überlaufkanal. Heilbutts Behauptungen, was die Wurst anging. Bedauerlicherweise erforderte eine Untersuchung angesichts der Vielzahl von Firmen und der vielen Tausend Beschäftigten ungeheure Mühe. Seiner Meinung nach war der logische Ort, um mit der Untersuchung anzufangen, nicht der Viehhof, sondern die Stelle, wo damals das Hundefleisch in der Wurst aufgetaucht war. Und wo, dessen war er sich sicher, auch die Listerien hergekommen waren.
Der Markt der Illegalen. Die freien Händler.
Es hatte nicht lange gedauert, bis der größte dieser freien Märkte in einer Nebenstraße der Landsberger Allee nach der Schließung im letzten November wieder geöffnet hatte. Kraus konnte das blutige Messer nicht vergessen, mit dem er dort konfrontiert worden war. Da er nicht vorhatte, diese Dummheit zu wiederholen, hatte er nach sorgfältiger Erkundung ein altes Lagerhaus am Rand des Marktes ausgesucht, das eine Hintertreppe hatte, von der niemand zu wissen schien. Dort hatte er sich einen versteckten Aussichtspunkt auf dem Dach eingerichtet, war dann losgegangen und hatte sich einen dieser neuen Feldstecher gekauft. Jetzt konnte er den Leuten dort unten sogar bis auf die Mandeln blicken.
Ab und zu, so wie zum Beispiel heute, zeigte er sich im Büro, damit man ihn nicht vergaß. Aber im Prinzip hockte er jetzt seit zwei Monaten hier oben. Das Anstrengendste waren die Kälte und der Schnee. Und der Regen. Aber Stück für Stück hatte er ein Bild zusammengesetzt, wie dieser Markt funktionierte. Wer ihn betrieb. Wie die Produkte geliefert wurden. Indem er die Nummernschilder auf den Lastwagen zurückverfolgte, hatte er herausgefunden, dass selbst nach dem Alptraum der Listerien die großen Wurstproduzenten weiterhin billiges Füllmaterial von diesen Verkäufern erstanden. Es gab an den lebhaftesten Tagen Dutzende von Buden und Hunderte von Kunden. Es war vollkommen unmöglich, zu erkennen, welches Fass möglicherweise Fleisch von Kindern enthielt. Aber der Mann, der hier die Fäden zog, war derselbe, der Kraus mit dem Messer bedroht hatte. Ein massiger, kahlköpfiger Bulle von Mann mit Armen wie Baumstämmen. Er fuhr einen kleinen, geschlossenen Lastwagen, der überhaupt keine Nummernschilder hatte. Kraus war klar, dass er ihn beschatten musste. Aber er wollte vorher noch die Identität von einem halben Dutzend anderer Widerlinge herausfinden.
Die Messermodelle drehten sich unaufhörlich in Henckels Schaufenster.
Vicki liebte es zu kochen, das schon, aber Kraus musste ihr etwas ... etwas Wundervolles schenken. Und das nicht nur wegen seines schlechten Gewissens, weil er ständig über diesen Fall nachdachte, worüber sie sich zweifellos aufregen würde. Aber, mein Gott, zehn Jahre!
Das war wirklich ein Grund, ernsthaft zu feiern.
An der Ecke Dircksenstraße wartete er geduldig mit den anderen Passanten auf das Zeichen des Polizisten. Die Ermittlungen waren selbstverständlich zeitraubend, so wie es meistens bei guter Ermittlungsarbeit war. Und so lange blieb der Mörder auf freiem Fuß. Aber Freksa hatte trotz all seiner Ressourcen bisher keinen Erfolg gehabt. Dutzende von Männern waren Hunderten von Spuren gefolgt, die alle sozusagen im
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