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Kindersucher

Kindersucher

Titel: Kindersucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grossman
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Seine Heimtücke. Diese sechs Zigeuner konnten längst tot sein, bis der echte Kinderfresser erwischt wurde. Vielleicht gab es ja einen Grund, warum sie beide hier alleine in diesem Aufzug gelandet waren.
    »Was diese Zigeuner angeht ...« Seine Kehle schnürte sich zusammen, als er auf die Titelseiten von Freksas Zeitung deutete, auf der ein Foto die sechs Angeklagten in der gestreiften Gefängniskleidung zeigte. »Sie sollten dafür sorgen, dass die Anklage fallen gelassen wird, Freksa. Denn ich habe nicht vor, Sie damit durchkommen zu lassen.«
    Kraus war erleichtert, dass er es endlich getan hatte, aber trotzdem spürte er, wie ihm der Schweiß über den Rücken lief. Das war ein Sturmangriff, wie sie es im Krieg genannt hatten, wenn sie aus den Schützengräben gesprungen waren, um auf den Feind loszurennen. Von jetzt an würde ihm alles, was Freksa in seinem Waffenarsenal hatte, um die Ohren fliegen. Aber es wurde Zeit, sich dem Feuer zu stellen. Und irgendwie fand er, dass es die Sache wert war, als er diesen Ausdruck auf dem großen, breiten Gesicht sah – so als wäre das Äffchen eines Leierkastenmanns plötzlich aufgesprungen und hätte »Das Lied von der Erde« gesungen.
    Freksa zwang sich zu einem falschen Lächeln und sah Kraus mit einer Miene an, die sagen wollte: »Wie kann ein Kerl wie ich etwas Falsches tun?« Wahrscheinlich war es derselbe Blick, den er den Mädchen zuwarf, die er ins Bett bekommen wollte. Ganz der Lebemann, immer noch, mit vierzig.
    »Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden, Kraus. Womit soll ich nicht durchkommen?«
    »Ich will es so ausdrücken.« Kraus setzte eine ähnlich unschuldige Miene auf wie Freksa. »Versuchen Sie diese Zigeuner vor Gericht zu zerren, Freksa. Versuchen Sie es einfach. Dann werden Sie es schon herausfinden.«
    Vielleicht war das dumm. Vielleicht hätte er zuerst zum Kommissar gehen und ihm alles erzählen sollen. Auch wenn das kaum geholfen hätte. Wie dem auch sei, Kraus war klar, dass ein Krieg mit Freksa unausweichlich war. Und wenigstens war er jetzt offiziell erklärt worden.
    Später beim Mittagessen taten alle, als wäre nichts passiert. Aber Kraus konnte das Gefühl nicht abschütteln, dass er seine Henkersmahlzeit verspeiste. Horthstaler hatte ihn gewarnt, wiederholt gewarnt, sich nicht in den Kinderfresser- Fall einzumischen. Trotzdem hatte er das getan, und zwar ohne Rücksicht auf Verluste. Die einzige Frage war, mit welcher Schärfe der Kommissar ihn zurechtweisen würde.
    Nachdem sie zu Ende gegessen hatten, wischte sich Horthstaler seine dicken Lippen ab und ließ die Serviette fallen. »Bedauerlicherweise müssen wir unser wöchentliches Treffen mit einer höchst unerfreulichen Angelegenheit beginnen. Anscheinend ist ein Mitglied dieser Abteilung zu dem Schluss gekommen, es wäre statthaft, sich nicht nur in den Fall seines Kollegen einzumischen, sondern diesen Kollegen auch zu verleumden und zu bedrohen.«
    Obwohl Kraus wusste, was jetzt kam, stieg ihm die Galle hoch. Vier Jahre in der Armee. Sieben bei der Berliner Polizei. Und noch nie war er so zusammengestaucht worden.
    »Das ist ganz offensichtlich«, Horthstaler richtete seinen Blick auf ihn und verzog angewidert die Miene, als wäre Kraus ein Insekt, »eine sehr ernste Verletzung der Vorschriften.«
    Noch nie hatte Kraus einem Vorgesetzten widersprochen. Aber ...
    »Sie kennen die Tatsachen nicht, Herr Kommissar«, sagte er so würdevoll, wie er es vermochte. »Freksas Beweise gegen die Zigeuner sind ...«
    »Verleumdung!« Horthstalers Stellvertreter Müller sprang hoch und ballte die Hände zu Fäusten.
    Die anderen Kripobeamten erhoben sich ebenfalls.
    »Setzt euch, um Himmels willen! Ich regle das!«, blaffte Horthstaler sie wütend an und drehte sich dann zu Kraus herum. »Kraus, Ihr Verhalten ist unerhört! Ich habe Ihnen unmissverständlich befohlen, Ihre große Nase aus dieser Sache herauszuhalten. Aber Sie richten sich buchstabengetreu nach dem Credo Ihrer Rasse, die wegen ihrer aufdringlichen Unverschämtheit so berüchtigt ist.«
    Kraus musste alle Kraft zusammenreißen, um sich nicht auf diese Ebene der Diskussion herunterziehen zu lassen. »Kommissar, bitte hören Sie mir zu. Es verschwinden immer noch Kinder. Jemand operiert innerhalb des Vieh ...!«
    »Halt!« Horthstaler ballte seine fleischigen Fäuste, als wäre er jetzt ebenfalls bereit, Kraus zu schlagen.
    Kraus wusste, dass er den Kommissar in einer halben Sekunde zu Boden werfen konnte, wenn es darauf ankam;

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