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Kindersucher

Kindersucher

Titel: Kindersucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grossman
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romantischste.«
    »Du bist also nicht traurig, dass du keinen Wertheim oder Tietz geheiratet hast?«, fragte er sie.
    Sie zog ihn an sich und küsste ihn leidenschaftlich, direkt vor dem Hotel des Bains. Aber selbst als er sich in ihren feuchten Lippen verlor, zuckte ihm durch den Kopf, wie wütend sie sein würde, wenn sie jemals erfuhr, dass er sich in die Jagd nach dem Kindermörder eingemischt hatte. Er hatte in den zehn Jahren ihrer Ehe noch nie etwas Wichtiges vor ihr verheimlicht, hatte keine Affären gehabt, ja nicht einmal einen Flirt. Aber Vicki würde sein Verhalten als Vertrauensbruch ansehen. Was also war es, das ihn antrieb, nicht nur seine Karriere aufs Spiel zu setzen, sondern wegen dieses verdammten Falles auch seine Ehe zu riskieren?
    Am Ende der Woche fühlten sie sich fast wie beraubt, als sie abreisen mussten, so als würden sie Venedig niemals wiedersehen. Im Zug saßen sie stumm da und starrten schweigend aus dem Fenster. Doch als sie die österreichische Grenze überquert hatten, schob Vicki ihren Pony zur Seite und nahm seine Hand.
    »Also gut, Willi. Raus damit, sag es mir.«
    Ein Blick genügte, und er wusste, dass das Spiel aus war. Die ganze Zeit hatte er gedacht, er hätte sie zum Narren gehalten, dabei hatte sie ihm etwas vorgespielt. Am liebsten wäre er aus dem Fenster gesprungen und hätte sich in dem fernen Wald versteckt, aber sie musterte ihn gnadenlos und ließ ihm nicht die geringste Fluchtmöglichkeit. Also hüstelte er verlegen, räusperte sich, suchte ein letztes Mal nach einem Zeichen von Gnade und legte dann ein Geständnis ab.
    Während der Zug durch steile Täler und dunkle Alpentunnel fegte, erzählte er ihr alles. Von den Jungen, den Knochen, den Zigeunern und Freksa. Von seiner Suspendierung. Und als sie sich München näherten, hätte er Zeugnis für Dr. Freuds Sprechkur ablegen können, denn er fühlte sich sehr erleichtert. Vicki allerdings war, wie er befürchtet hatte, fuchsteufelswild. Er konnte sich nicht daran erinnern, sie jemals so wütend erlebt zu haben.
    »Ich kann nicht glauben, dass du so etwas getan hast!« Ihre Oberlippe bebte. »Ich habe das Gefühl, als hätte ich keine Ahnung, wer du wirklich bist. Wie konntest du mich so hintergehen und die Jungs in Gefahr bringen?«
    »Sie sind niemals in Gefahr gewesen.«
    »Oh, du hast leicht reden! Das kannst du dir vielleicht weismachen, Willi. Aber mich überzeugst du nicht. Wer auch immer dieser Kindermörder sein mag, er ist ganz offensichtlich extrem pervers. Wie zum Teufel willst du wissen, dass er nicht die Person verfolgt, die hinter ihm her ist? Oder schlimmer noch, seine Kinder? Oder mich?«
    »Vicki ...«
    Bis Nürnberg weigerte sie sich, ein einziges Wort zu sagen oder ihn auch nur anzublicken. Irgendwann jedoch mussten sie etwas zu Mittag essen, und im Speisewagen ebbte ihr Ärger allmählich ab.
    »Ich weiß nicht, was dich dazu getrieben hat, Willi. Wirklich nicht. Aber gut, es ist geschehen. Du bist bestraft worden; ich will es nicht noch schlimmer machen. Aber du musst mir versprechen, dich von diesem Fall fernzuhalten. Und morgen wirst du als Erstes zu Dr. Weiß gehen und ihm alles berichten, was du mir erzählt hast, und zwar Wort für Wort.«
    »Das kann ich nicht, Vicki.«
    »Du musst!«
    »Dann bin ich in der Abteilung für immer erledigt.«
    In ihren dunklen Augen loderte eine Glut, die nicht einmal ein Wüstensturm entwickeln würde. »Dann sag mir bitte, Willi, wie du dir ins Gesicht sehen willst, wenn diese unschuldigen Zigeuner hingerichtet werden?«

FÜNFZEHN

    Regen fegte über den Alexanderplatz, in dichten, silbrigen Schleiern; er strömte über die Pflastersteine und das Netz der eisernen Straßenbahngleise, verwandelte die neuen Gräben der U-Bahn in schlammige Kanäle. Er prasselte gegen die wunderschöne Fassade des Kaufhauses Tietz, ließ die Markise von Aschingers Restaurant erzittern und schien den ganzen Alex durchzuschütteln.
    Kraus wandte sich von dem Fenster im fünften Stock des Polizeipräsidiums ab und ließ sich auf seinen Stuhl fallen. Seit er vor etlichen Tagen zu seiner Arbeit zurückgekehrt war, hatten seine Kollegen ihn im Grunde ignoriert; also war alles beim Alten. Bis auf die Sekretärin der Abteilung, Frau Garber – Ruta. Sie hatte ihn förmlich verhört, wie seine Reise gewesen war.
    »Nun stellen Sie sich das vor ... eine zweite Hochzeitsreise«, hatte sie geseufzt und ihm Kaffee von ihrem Wägelchen eingeschenkt. »Und dann auch noch nach

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