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Kindersucher

Kindersucher

Titel: Kindersucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grossman
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und dem Regen, diese Nachricht ... persönlich überbracht mit einer Tasse Kaffee.
    »Alle sind geradezu süchtig nach dieser italienischen Röstung.« Ruta zwinkerte ihm zu, als sie ihm eine Tasse einschenkte. »Sie müssen bald wieder nach Venedig fahren, um Nachschub zu holen.«
    Nichts lieber als das.
    »Und«, sie griff in ihre Schürze und zog einen Umschlag heraus, »Herr Freksa wollte, dass ich Ihnen das gebe. Es ist eine Art Einladung in ein richtig gutes Restaurant, wie ich annehme.«
    Kraus sah sie erstaunt an. Sowohl der Umschlag überraschte ihn, als auch die Erkenntnis, dass die Sekretärin der Abteilung offenbar über alles Bescheid wusste, was zwischen ihm und Freksa vorgefallen war. Hatte sie sich vielleicht als Vermittlerin betätigt? Als sie mit ihrem Servierwägelchen sein Büro verließ, sah er, wie sie ihn verschwörerisch anlächelte.
    Sein Herz hämmerte, als er den Umschlag aufriss. Es war keineswegs eine Einladung in ein vornehmes Restaurant. Aber es war eine Einladung, das schon. Und zwar eine der merkwürdigsten Einladungen, die er jemals bekommen hatte. Können Sie sich bitte heute mit mir im Mittelbogen der Oberbaumbrücke treffen, um Punkt zwölf Uhr?
    Kraus kämpfte mit seiner Unsicherheit, während er auf den Umschlag auf seinem Schreibtisch starrte und dem Heulen des Windes und dem Prasseln des Regens an die Scheiben lauschte. Sollte er gehen? Oder nicht? Wenn er doch nur einen Partner hätte! Allein beim Anblick von Freksas Handschrift verkrampfte er sich bereits. Er hatte das Gefühl, jede Bewegung exakt überlegen zu müssen, so als ob er sich den Weg durch ein Minenfeld suchte. Er kippte mit dem Stuhl nach hinten und blickte an die Decke, um nachzudenken, als er es plötzlich merkte.
    Er war zu weit nach hinten gekippt.
    Als er noch ein Kind war, hatte seine Mutter ihn immer gewarnt. »Alle vier Stuhlbeine auf den Boden, Willi!« Und obwohl er ab und zu weggerutscht war, hatte er nie ein echtes Problem gehabt. Bis jetzt.
    Er wusste, dass er nach hinten fiel. Er sah seine ganze Familie vor sich, Vicki, Erich, Stefan, selbst seine Schwester, die ihn entsetzt beobachteten, als er auf dem Boden aufschlug und sich das Genick brach. Gelähmt für ... Er warf sich hastig nach vorne, gegen die Schwerkraft, packte den Schreibtisch und schaffte es, sich am Rand festzuhalten und auf den Beinen zu balancieren, während der Stuhl hinter ihm mit einem lauten Krachen aufschlug.
    Benommen stand er da, atmete dann tief durch und hob den Stuhl auf. Ich hätte auf dich hören sollen, Mama. Er seufzte, setzte sich hin und ließ diesmal tunlichst alle vier Beine auf dem Boden. Jetzt denk nach, um Gottes willen. Denk nach, denk nach! Warum will sich Freksa mit dir am Fluss treffen? Er massierte sich die Schläfen und starrte auf die Regenschleier, die über den Alexanderplatz wehten. Wartete vielleicht eine Bande von Braunhemden dort, um Freksas Demütigung zu rächen? Aber das ergab keinen Sinn. Der Oberbaum war eine der belebtesten Brücken in Berlin. Sogar die U-Bahn fuhr darüber. Das war schwerlich der geeignete Ort für einen Hinterhalt. Auch wenn die Geländer nicht sonderlich hoch waren. Aber Freksas Notiz war so verdammt höflich. Sein Ton war beinahe flehentlich.
    Kraus warf einen Blick auf seine Armbanduhr.

    Die Oberbaumbrücke war zwar nicht die schönste Brücke, die über die Spree führte, aber ganz gewiss die berühmteste. Sie war im gotischen Stil aus Ziegeln gemauert, trug Ritterwappen und war mit zwei großen, festungsartigen Türmen geschmückt. Kraus kam die Treppe von der U-Bahn-Station Stralauer Tor herunter, zog den Hut gegen den starken Wind tiefer in die Stirn und marschierte los. Es war ein sehr ungünstiger Tag, um zu Fuß über die Brücke zu gehen. Selbst unter dem überdachten Fußweg, der an einer Seite der Brücke entlangführte, peitschte ihm der Wind den Regen ins Gesicht. Autos und Lastwagen fuhren spritzend durch die Pfützen auf der Straße. Über ihm donnerte die U-Bahn hinweg. Und bei jedem Schritt wuchs seine Unsicherheit. Was erwartete ihn? Offenbar hatte Freksa ihm etwas zu erzählen und wollte nicht, dass irgendjemand davon erfuhr. Aber hätten sie sich nicht auch in einem Museum oder einem anderen überdachten Raum treffen können?
    Er kam absichtlich ein paar Minuten zu spät. Aber im Mittelbogen der Brücke war kein Freksa zu sehen. Kraus zog den Mantelkragen zusammen und sah sich um. Das übliche Panorama, das Zentrum von Berlin, von Treptow bis zum

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