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Kindertotenlied: Thriller (German Edition)

Kindertotenlied: Thriller (German Edition)

Titel: Kindertotenlied: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Minier
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gewesen war. Dass sie uns unserem Schicksal überlassen hatte, mich und die anderen. Sie hatte nichts unternommen, um uns zu retten … Aber ich wusste auch, dass sie seit dieser Zeit von Gewissensbissen geplagt wurde. Sie hatte es mir gesagt. Sie dachte ständig daran, sie war buchstäblich besessen davon. Sie kam nicht damit klar, dass sie sich so erbärmlich verhalten hatte. ‚Ich hatte Angst in dieser Nacht, ich war in Panik. Ich war feige. Du müsstest mich hassen, mich verachten, Hugo.‘ Das sagte sie mir ständig. ‚Warum bist du so nachsichtig, so nett zu mir?‘ Oder aber: ‚Hör auf, mich zu lieben, ich verdiene es nicht, ich verdiene diese Liebe nicht, ich bin kein guter Mensch.‘ Und die Tränen rannen ihr über die Wangen, ich sah die Not in ihren Augen. Sie zitterte, wenn sie das sagte. Und dann wieder war sie der fröhlichste, witzigste, überraschendste, wunderbarste Mensch, dem ich jemals begegnet bin. Sie konnte jeden Moment verzaubern. Ich habe sie geliebt, verstehen Sie? …“ Er unterbrach sich – und seine Stimme änderte sich, als würden sich zwei Schauspieler dieselbe Rolle teilen. „Als ich an diesem Abend das Pub verließ, war ich besoffen, stoned. Ich hab sie besucht, während sich alle das Fußballspiel angesehen haben. Ich habe ihr vom Kreis erzählt … Am Anfang wollte sie es nicht glauben, sie dachte, ich würde herumphantasieren, ich wäre betrunken, was ja tatsächlich der Fall war. Und als ich ihr dann detailliert den Tod des Fahrers geschildert habe, hat sie plötzlich begriffen, dass ich die Wahrheit sagte.“
    Servaz sah Hugo in die Augen. Das Leuchten tief in ihrem Innern. Wie Glut, die von einem Luftzug angefacht wird, wie ein Feuer, das seit langem unter der Tundra schwelt.
    „Und da habe ich gesehen, wie sie sich verwandelt hat. Das war, als hätte jemand anderes ihren Platz eingenommen. Das war nicht mehr die Claire, die ich kannte … Die, die mich zum Schreiben ermunterte und die mir schwor, dass ihr noch kein derart begabter Schüler untergekommen war. Die, die mir jeden Tag zwanzig SMS schickte, um mir zu sagen, dass sie mich liebte und dass uns nie etwas trennen würde, dass wir auch noch im Alter genauso verliebt sein würden wie am ersten Tag. Die, die sich vollkommen hingeben konnte, wenn wir uns liebten, oder die, im Gegenteil, gern die Initiative ergriff. Die, die Dichterworte von der Liebe zitierte, und die auf ihrer Gitarre ein Lied über uns improvisierte, die, die für jeden Teil meines Körpers einen Namen fand, als wäre es die Karte eines Landes, das ihr gehörte, die, die keine Angst davor hatte, wieder und wieder ‚ich liebe dich‘ zu sagen, hundertmal am Tag. Diese Claire existierte plötzlich nicht mehr. Sie war … weg … Und die, die an ihre Stelle getreten war, sah mich an, als wäre ich ein Monster, ein Feind. Sie hatte Angst vor mir.“
    Hugos Worte wirbelten im Licht der Neonröhren. Jedes Wort fand in Servaz‘ schwerem Herzen einen Widerhall.
    „Was für ein Blödmann! Ich hätte bestimmt nicht so gehandelt, wenn ich weniger zugedröhnt gewesen wäre. Sie wollte die Polizei rufen. Ich habe alles getan, um sie davon abzubringen, ich konnte den Gedanken nicht ertragen, dass meine ‚Geschwister‘ ins Gefängnis müssten.“ Servaz überkam ein Unbehagen, als er an Davids Worte im Auto dachte. „Dass sie nach all dem, was sie erlitten hatten, noch einmal leiden sollten. Ich war mit meinem Latein am Ende. Ich habe ihr gesagt, dass ich sie dazu bringen würde, aufzuhören, dass es vorbei wäre, dass es keine weiteren Opfer mehr geben würde, aber dass sie ihnen das nicht antun durfte, nach allem, was sie ihnen bereits angetan hatte … Sie wollte nichts hören, sie war wie außer sich, alle meine Argumente stießen bei ihr auf taube Ohren. Wir haben angefangen, uns anzuschreien, ich habe sie angefleht. Und dann, plötzlich, brach es aus ihr heraus: Sie hat mir gesagt, sie liebte mich nicht mehr, es sei aus zwischen uns, sie liebte einen anderen. Bald hätte sie es mir sagen wollen. Sie erzählte mir von diesem Typen, dem Abgeordneten: dass sie ganz verrückt nach ihm war, er sei der Mann ihres Lebens. Da hab bin ich ausgerastet: Ich wollte sie beschützen, und sie, sie dachte an nichts anderes, als uns in den Knast zu bringen und mich loszuwerden! Das konnte ich nicht zulassen. Sie sind meine Familie … Ich war wütend, blind vor Wut. Ich habe mir gesagt: Was ist das für eine Frau, die einem Mann auf alles, was ihr heilig ist,

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