Kindspech: Tannenbergs achter Fall
Oktober 1973 sind sie von Hamburg nach Kaiserslautern umgezogen.«
»1959 war dieser Lars drei Jahre alt.«
»Richtig. Vorher waren die beiden DDR-Flüchtlinge ein paar Monate im Übergangslager Friedland untergebracht.«
»Was ist mit Vater Mattissen und möglichen Geschwistern?«
»Weder das eine noch das andere. Ich nehme an, der Vater ist in der DDR zurückgeblieben, oder die Eltern haben sich vorher getrennt. Vielleicht ist er in dieser Zeit auch verstorben – keine Ahnung. Und von Geschwistern wissen die in Hamburg auch nichts. Diese Auskunft können uns nur die Leute in Rostock geben.«
»Gab es 1959 eigentlich schon die Mauer?«, fragte Michael.
»Weiß ich nicht.«
»Na, das kannst du ja ganz einfach in deinem PC nachschauen. Am besten gehst du nämlich gleich hoch ins K 1. Die Flocke hat schon ein paarmal nach dir gefragt«, schlug Michael Schauß vor. Die beiden hatten vereinbart, sich ab und an oben in ihren eigentlichen Diensträumen blicken zu lassen, um wenigstens den Anschein normaler Polizeiarbeit zu wahren.
»Mach ich. Und du gibst mir bitte sofort Bescheid, wenn sich die Frau bei dir meldet.«
»Ja, sicher«, versprach der junge Kommissar.
Kaum fünf Minuten später läutete im Keller das Telefon.
»Der von der DDR als ›antiimperialistischer Schutzwall‹ bezeichnete innerdeutsche Grenzzaun wurde am 13. August 1961 errichtet«, las sie aus einem Internet-Lexikon vor.
»Dann konnten die beiden noch ohne große Schwierigkeiten aus der DDR flüchten. Aber wieso ist Lars’ Vater nicht mitgekommen?«
Es dauerte noch weit über eine Stunde, bis sich die Sachbearbeiterin des Rostocker Standesamtes endlich meldete. Dafür konnte sie mit interessanten Neuigkeiten aufwarten.
11 Uhr 30
Da Tannenberg formal beurlaubt war, durfte er nicht als Kriminalbeamter bei der Hausbank seiner Familie auftreten. Zudem wollte er keine schlafenden Hunde wecken. Die Lokalpresse hatte überall in der Stadt ihre Ohren. Also ließ er sich brav einen Termin bei der Chefsekretärin des Leiters der Kreditabteilung geben. Da er dringende private Gründe anführte, schob sie ihn zwischen die nächsten beiden Beratungstermine.
Kaum war die Tür hinter ihm ins Schloss gefallen, schilderte Tannenberg in bewegten Worten die dramatische Situation, in welcher er und seine Familie gegenwärtig steckten. Der etwa 50-jährige Abteilungsleiter reagierte sichtlich betroffen. Mit versteinerter Miene lauschte er den Worten des Kriminalbeamten und erzählte danach, dass er dreifacher Vater sei und sich deshalb sehr gut in die Lage der Tannenbergs hineinversetzen könnte.
»Diese Entführung ist für eine Familie das schlimmste Horrorszenario, das es geben kann«, sagte er, nachdem Tannenberg geendet hatte.
Als Wolfram Tannenberg jedoch um die schnelle, unbürokratische Gewährung eines Hypothekendarlehens für das Familienanwesen im Kaiserslauterer Musikerviertel bat, wechselte der vormals so verständnisvolle Familienvater urplötzlich wieder zurück in die Rolle des emotionslosen Bankmanagers.
Grundsätzlich sei ein Hypothekendarlehen mit dem Grundbucheintrag des zu beleihenden Objektes verbunden. Und dazu müsse der Wert einer Immobilie zunächst einmal von einem Sachverständigen geschätzt werden. Er betonte, dass er dieses vorgeschriebene Verfahren nicht außer Kraft setzen könne, auch wenn er dies in vorliegendem Falle nur allzu gerne täte.
Selbst auf Tannenbergs flehentlich vorgetragene Bitte hin zeigte er sich weiter unnachgiebig. Er verwies mehrmals darauf, dass ihm – ja selbst dem Vorstand – die Hände gebunden seien.
»Existieren denn nicht zufälligerweise noch Grundbucheintragungen der beiden Häuser zugunsten unserer Bank?«, wollte der Abteilungsleiter wissen.
»Keine Ahnung«, antwortete Tannenberg schulterzuckend.
»Die meisten der ehemaligen Darlehensnehmer lassen diese Eintragungen nämlich fortbestehen, obwohl die Schulden schon längst getilgt sind – zwecks günstiger Darlehenskonditionen für Renovierungen, Umbauten und so weiter. Viele Hausbesitzer haben diese vorteilhaften Grundbucheintragungen im Laufe der Jahre allerdings vergessen.«
An diese Frage hatte Tannenberg bislang keinen einzigen Gedanken verschwendet. Zu Hause hatte er geschwind alle möglichen Dokumente in seine Tasche gepackt und war zur Bank geeilt.
»Zeigen Sie mir am besten mal Ihre Unterlagen. Dann können wir das sofort klären«, forderte der Abteilungsleiter auf.
Der Kriminalbeamte breitete daraufhin
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