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Kindspech: Tannenbergs achter Fall

Kindspech: Tannenbergs achter Fall

Titel: Kindspech: Tannenbergs achter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Franzinger
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Tannenberg, sein Bruder Heiner und Dr. Schönthaler Kontakt zu allen möglichen Freunden, Bekannten und ehemaligen Schulkameraden aufgenommen. Allerdings nur zu denjenigen, die außerhalb des Verbreitungsgebietes der Pfälzischen Allgemeinen Zeitung wohnten. Selbstredend hatten sie den wahren Grund ihres Anrufs verschwiegen und akute eigene Geldprobleme vorgeschoben. Nach mehr oder weniger verständnisvollen Worten erhielten sie überall am Ende ein und dieselbe, ernüchternde Antwort. Sie brachte exakt diejenige unumstößliche Lebensweisheit zum Ausdruck, die Heiner Stunden zuvor bereits kundgetan hatte: ›Bei Geld hört die Freundschaft auf.‹
    Michael Schauß’ Anruf riss die drei Freunde aus ihrer tiefen Depression: Obwohl die Frage der Lösegeldbeschaffung weiterhin ungeklärt blieb, gab es nun endlich eine heiße Spur zu einer Person, die möglicherweise ein konkretes Rachemotiv hatte: Lars Mattissens Zwillingsbruder.
    Der Rechtsmediziner geriet durch diese Mitteilung völlig aus dem Häuschen. Wie ein eingesperrter Tiger lief er rastlos in Tannenbergs Wohnzimmer umher, ballte die Fäuste, schleuderte sie zur Decke empor.
    »Leute, das ist der Durchbruch!«, behauptete er. »Jetzt ist mir auch endlich die versteckte Botschaft klar, die in dieser Duplizität der Ereignisse verborgen liegt.«
    »Was?«, fragte Heiner verdutzt.
    » Zwei Päckchen, zwei Anzeigen, zweimal dieselbe Lösegeld-Forderung. Das ist nichts anderes, als der Wink mit den Zwillingen. Hab ich’s euch denn nicht gleich gesagt: Damit will uns dieser Irre auf etwas hinweisen – und zwar auf die Tatsache, dass er der Zwillingsbruder von Lars Mattissen ist.«
    »Somit steht die Identität des Entführers fest: Knut Mattissen.«
    »Quatsch, Heiner«, zischte Tannenberg. »Wenn dieser Knut adoptiert wurde, wird er wohl kaum mehr Mattissen heißen.«
    »Stimmt«, erwiderte Heiner. »Aber wir wissen nun wenigstens, wie er aussieht«, versuchte er seinen Lapsus zu überspielen. »Willst du nicht sofort eine Personenfahndung nach ihm einleiten?«
    »Nein, im Moment ist mir das zu riskant. Meine Kollegen und besonders die Presse würden eine Hetzjagd veranstalten. Und da ist die Gefahr viel zu groß, dass er panisch reagiert.«
    Tannenberg hatte sich vorhin von Schauß die Telefonnummer und den Namen der Sachbearbeiterin des Rostocker Standesamtes übermitteln lassen. Im Flur telefonierte er mit ihr. Auch ihm gegenüber zeigte sich die Frau zunächst ausgesprochen abweisend und provokativ. Erst die Drohung, ihre Verweigerungshaltung als massive Behinderung der kriminalpolizeilichen Ermittlungsarbeit zu werten und entsprechend zu sanktionieren, machte sie gefügig. Sie versprach, umgehend weitere Nachforschungen bezüglich der Adoptiveltern des in der DDR verbliebenen Zwillings anzustellen.
    »Vielleicht wurde der Kleine sogar zwangsadoptiert«, murmelte Dr. Schönthaler und setzte sich an den PC seines Freundes. »Ich hab irgendwann mal etwas darüber gelesen.«
    Die Suchmaschine lieferte in Sekundenschnelle den Beweis für die geäußerte Vermutung. »Kommt mal her, ich hab einen interessanten Zeitungsartikel gefunden«, rief er.
    Gemeinsam mit den Tannenberg-Brüdern las er den schier unglaublichen Text:
    Staatlich organisierter Kindesraub
     
    Zwangsadoptionen: ein dunkles Kapitel DDR-Geschichte
     
    Durch Zufall entdeckten Bauarbeiter in einem zugemauerten Keller eines Ostberliner Abrisshauses mehrere Metallkisten mit brisantem Inhalt. Sie enthielten einige Hundert Dokumente zu einem Thema, das die DDR-Führung stets totgeschwiegen hatte: Zwangsadoptionen. Die gefundenen Akten belegen, dass die DDR seit den 50er-Jahren Kinder von ›politisch unzuverlässigen‹ Staatsbürgern ohne deren Einwilligung zur Adoption freigab. Dabei handelte es sich vorwiegend um Eltern, die als Regimekritiker auftraten, Ausreiseanträge gestellt hatten, bei der sogenannten Republikflucht verhaftet wurden oder die ihre Kinder bei der Flucht in den Westen zurückgelassen hatten. Nicht selten waren die ›Abnehmer‹ dieser Kinder ranghohe SED-Funktionäre. Hauptverantwortlich für diese systematischen Zwangsadoptionen war die damalige Ministerin für Volksbildung, Margot Honecker, die mächtigste Frau der DDR. Um die geraubten Kinder unauffindbar für ihre leiblichen Eltern zu machen, wurden ihnen neue Namen verpasst. Nach der Wende versuchten viele dieser entwurzelten Menschen, ihre richtigen Eltern und Geschwister ausfindig zu machen. Doch durch die neue Identität

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