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Kindswut

Kindswut

Titel: Kindswut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Senf
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nicht mehr. Wieso macht die das alles?, überlegte ich. Die Gedichte von Ludwig waren nicht schlecht, und in nüchternem Zustand war er ein liebenswürdiger Kerl. Aber meistens war er nicht nüchtern. Martha kam mit Ludwig zurück. Sie bugsierte ihn vor sich her bis zum Stuhl. Er ließ sich auf ihn fallen und nahm sich sofort das volle Glas. Er trank es wieder mit einem Zug leer.
    »Frau Maibaum hat eben angerufen.« Ludwig reagierte nicht. Er schaute ins leere Glas und lächelte vergnügt. Jetzt war er nicht mehr verhandlungsfähig. Martha schaute mich an. »Kannst du uns einen Gefallen tun?« Ich hätte besser nein gesagt. »Um was geht’s denn?« In Ludwig kam wieder etwas Leben. »Gute Idee.« Scheinbar wusste er bereits, um welchen Gefallen es sich handelte, um den mich Martha gleich bitten würde. »Sehr gute Idee.«
    »Ludwig soll morgen auf einer Beerdigung eine Grabrede halten. Der Mann von Frau Maibaum ist gestorben. In einer Stunde soll die Vorbesprechung für morgen stattfinden. Das schaffen wir nicht, in dem Zustand, in dem Ludwig ist.« Ich ahnte, was ihr Begehr war, sagte aber nichts. »Könntest du das nicht für uns erledigen?«
    »Wie stellst du dir das denn vor?«
    »Meine Güte, du gehst hin, besprichst alles mit ihr, und morgen hältst du die Grabrede.« Ich wollte nicht. Das sah sie mir an. »Bitte, Fritz, sie ist eine gute Kundin, mit einem riesigen Freundinnenkreis, da sterben ständig die Männer.« Ich verstand. Diese sichere Einnahmequelle sterbender Ehemänner wollte Martha nicht verlieren.
    »Ich habe dich schon angekündigt.«
    »Du spinnst ja wohl.«
    »Sie zahlt gut. 500 Euro.«
    »Ich brauche das Geld nicht.«
    »Fritz, bitte.«
    »Ludwig soll einfach weniger saufen, mein Gott!«
    »Du wirst dich bestens amüsieren. Die Witwe ist eine ganz heiße Braut.« Bei mir klingelten sämtliche Alarmglocken. Heiße Braut. Wenn ich das schon hörte.
    »Sie wird dir gefallen. Bist du nicht solo?«, strahlte Martha mich an und blinzelte mit den Augen, als wollte sie mich auf der Stelle im ›Dollinger‹ vernaschen. Ludwig lächelte immer noch vergnügt in sein leeres Weinglas. Doris brachte schon das nächste. Nach diesem Glas würde Ludwig vom Stuhl kippen.
    »Warum tust du dir das an?« Martha zuckte mit den Schultern. Sie gab mir eine Mappe. »Da steht alles drin.« Ich ließ die Mappe unberührt auf dem Tisch liegen.
    »Ich habe noch nie eine Grabrede gehalten.«
    »Fritz, das machst du doch mit links.«
    »Wieso sterben denen ständig die Männer weg?«
    »Das war nur so dahingesagt.« Sie sah mich flehentlich an. Es fiel mir schon immer schwer, nein zu sagen. Ich fürchtete schwersten Liebesverlust. Bestimmt würde mich Martha in Zukunft keines Blickes mehr würdigen. Es könnte mir egal sein. Was hatte sie vorzuweisen? Diesen lächerlichen Ludwig, der seine lange Nase gerade ins volle Weinglas tunkte. Dabei verschluckte er sich. Er hatte den Wein in der Nase hochgezogen. Mir reichte es.
    »Fritz. Bitte.«
    »Also gut. Wann muss ich da heute hin?«
    »Heute Abend um sieben. Die Adresse findest du in den Unterlagen vor dir.«
    Ich nahm die Mappe. »Aber nur dir zuliebe.«
    »Fritz, du bist ein Schatz. Ruf an, wenn es Fragen gibt.« Ich verabschiedete mich. Doris servierte am Nachbartisch den frischen Dorsch. Er sah köstlich aus.
    »Wir kommen auch«, rief mir Ludwig hinterher. »Das wird sehr lustig. Du bist also nicht allein.«
    Er lachte.

Kapitel 2
    Über mir wurden drei Wohnungen gleichzeitig saniert. Es herrschte seit Wochen ein Höllenlärm, dessen Ende nicht abzusehen war. Ab acht Uhr morgens dröhnten die Schleif- und Bohrmaschinen. Der Krach war nicht auszuhalten. Meine Nerven flatterten. Ich trieb mich tagsüber in Kinos, Kneipen, Galerien oder bei Bekannten herum. Ich dachte daran, mir auf Kosten des Vermieters ein Hotelzimmer zu besorgen. Ich verwarf den Gedanken. Um die Ecke meiner Wohnung in einem Hotel zu wohnen erschien mir abartig.
    Im feudalen Vorderhaus wohnte Frau Stadl. Sie war um die 50 und hatte einen Sohn.
    › Er ist lieb, aber schwierig ‹ , das sagte sie immer, wenn ich sie traf. Völlig unaufgefordert blieb sie stehen, als wären wir alte Bekannte, und begann ein Gespräch. Dabei hatten wir unlängst eine unliebsame Begegnung gehabt. Sie saß frühmorgens im ›Dollinger‹ und las Zeitung. Sie hatte alle verfügbaren Nachrichtenblätter auf einmal beschlagnahmt und vor sich auf den Tisch gestapelt. Ich fragte sie, ob ich eine der Zeitungen haben

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